Religionen haben alle ein gemeinsames Problem: Egal, ob es um Gott, Allah oder Ganesha geht – als Gläubiger kann man sich nicht einfach mal auf der Straße mit ihnen treffen oder zumindest einmal auf dem Handy anrufen. Das Göttliche ist transzendent. Es übersteigt die Welt und entzieht sich dem, was wir mit unseren Sinnen erfassen oder mit unserer Sprache ausdrücken können.
Feuer begleitet Gebete seit der Antike
„Also braucht es etwas Beeindruckenderes als normale Sprache, das aber gleichzeitig noch im Rahmen unserer menschlichen Möglichkeiten ist“, erklärt Robert Yelle, Professor für Allgemeine Religionswissenschaft an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität (LMU). Er erforscht die Bräuche, die sich überall auf der Welt entwickelt haben, um mit dem Göttlichen in Kontakt zu treten. Da die Sprache allein nicht reicht, gibt es diverse „rituelle Briefumschläge“, in die die Nachrichten nach oben gesteckt werden.
Ein verbreitetes Werkzeug: Feuer. Schon die antiken Griechen, aber auch Kain und Abel im Alten Testament, brachten Brandopfer dar. „Durch den Rauch stellte man eine Verbindung zum Himmel her“, erklärt Yelle. Dass das Opfer durch das Feuer zerstört werde, unterstreiche dabei die Bitte. Auch heute seien Brandopfer noch weit verbreitet; anstelle von Tieren werden aber meist Gebetszettel oder Weihrauch verbrannt.
Gemeinsam klingt's einfach besser
Zu den wahrscheinlich bekanntesten Ausdrucksweisen des Gebets gehören das gemeinsame Sprechen oder Singen. Beide Formen seien weltweit verbreitet und auch Kulturen, die sich über Jahrtausende nie begegnet sind, haben hier ganz ähnliche Rituale entwickelt: „Gerade deshalb sollte man das Gebet vor allem in einem anthropologischen Licht betrachten“, betont Yelle. Die Tatsache, dass alle Völker die Sprache als Kommunikationsmittel nutzen, sei die wahrscheinlichste Ursache für die ähnlichen Gebetsrituale. „Wenn eine Gruppe sich äußert, dann klingt das ganz anders, als wenn nur eine einzelne Person ein Gebet spricht.“
Dasselbe gelte für Gesang, der religionsübergreifend Gebete begleitet und sich vermutlich aus Arbeitsliedern entwickelt hat. Beide Elemente vereinen Menschen zu einer Gruppe, die, wenn sie gemeinsam betet, eine völlig andere Form von Sprache spricht, als einzelne im zwischenmenschlichen Dialog das könnten. Dadurch verändere sich das Gesagte. Es bekomme einen anderen Charakter und eine Bedeutung, die über die normale Sprache hinausreiche. Durch eine gemeinsame Körperhaltung – knien, aufstehen, sitzen, verbeugen oder wippen – werde das zusätzlich betont. „Außerdem bekommt das Gebet so einen gewissen Rhythmus“, so Yelle.
Besessen vom Heiligen Geist
Neben den gemeinsamen Formen des Betens kennen alle Religionen zudem auch die nicht konzertierte Form: das individuelle Gebet. Aber auch das müsse nicht leise und unbewegt ablaufen, sagt Robert Yelle. Besonders dann nicht, wenn die Kontaktaufnahme mit dem Göttlichen im eigenen Körper stattfinde. So ist zum Beispiel die Vorstellung weit verbreitet, dass der Körper des Betenden vom angerufenen höheren Wesen kontrolliert werden könne. „Man spricht dann von Besessenheit“, erklärt Yelle. Wer dabei allerdings an Dämonen und Hexerei denkt, liege falsch. Formen der „göttlichen Besessenheit“ finden sich schon in der Antike, so zum Beispiel beim Orakel von Delphi, aber auch im Dionysos-Kult. Sie kommen außerdem bei christlichen Gruppierungen, wie den Quäkern vor.
Auch das Ausstoßen von Lauten und Wörtern – Zungenrede oder Glossolalie genannt – gehöre zu den äußeren Ausdrucksformen des Gebets. Für Außenstehende mögen solche Rituale zwar befremdlich erscheinen, eines der Wesensmerkmale von Gebeten sei aber gerade, dass sie sich von der normalen zwischenmenschlichen Kommunikation unterscheiden.