Münchner Kirchenzeitung (MK): Die Bestiensäule galt schon zu ihrer Entstehungszeit als sehr kostbar, da ihre Gestaltung höchstes bildhauerisches Können voraussetzt. Was war der Grund in der dunklen Krypta von Freising ein derartiges Baudenkmal zu errichten?
DOMREKTOR ARIS: Als die Krypta nach dem Dombrand von 1158 neu gestaltet wurde, war sie ein dunkler Teil des Gebäudes, in dem aber gleichwohl höchste Kunstfertigkeit ausgedrückt wurde. Das sieht man nicht nur an der Bestiensäule, sondern auch daran, dass alle Kapitelle unterschiedlich gestaltet sind und keine Säule der anderen gleicht. Das entspricht der Weise, wie in dieser Zeit auch Kreuzgänge gestaltet wurden. Das Besondere an der Bestiensäule ist, vom Kunsthistorischen mal abgesehen, dass die eigentliche Aufgabe einer Säule, nämlich die Last des Gewölbes zu tragen, nicht mehr erkennbar ist. Sie wird vielmehr als Bildmedium innerhalb der Krypta genutzt.
MK: Was sehen wir auf der Säule genau?
DOMREKTOR ARIS: Sie besitzt auf ihren Seitenschäften Darstellungen von ritterähnlichen Gestalten, die Kettenhemden und Brustpanzer tragen. Sie kämpfen mit Wesen, die einen Rückenpanzer besitzen und somit Krokodilen nicht unähnlich sind. Ein Ritter ist schon bis zur Mitte seines Körpers im Rachen eines solchen Wesens verschwunden, ein anderer würgt den Hals eines Ungeheuers, um den Gefährten zu befreien, in einem anderen dieser Fabelwesen ist kopfüber ein kleiner Hund verschwunden. Diese Art von Darstellungen kennen wir auch aus Buchmalereien dieser Zeit
MK: Eine bekannte Formsprache der Romanik des zwölften Jahrhunderts…
DOMREKTOR ARIS: Ganz genau. Das sind keine „Fantasy products“, sondern eine feste Bildsprache, auch bekannt aus der mittelalterlichen Epik. Da ist es ganz klar, dass ein Ritter eine „Aventure“, ein Abenteuer, zu bestehen hat. Dieses kann auch im Kampf mit Drachen und Dämonen bestehen.
MK: Dann gibt es in dem Geschehen noch die Darstellung einer Frau mit einer Blume …
DOMREKTOR ARIS: Diese findet sich auf der ganz nach Osten gerichteten Seite, die ansonsten frei ist von Kampfesdarstellungen. Die Frau mit der Blume in der Hand blickt nach Osten. Die Symbolik der Himmelsrichtung darf man nicht unterschätzen. Der heutige Blick in der Krypta gen Osten ist ein Blick ins Licht, weil die nachträglich eingebaute Maximilianskapelle den Abschluss aufgebrochen hat und nun ein Lichtkegel einfallen kann. Zur Erbauungszeit der Krypta war der Blick nach Osten ein Blick ins Dunkel, der aber von Osten her den Aufgang des Lichtes erwartet, den Aufgang sucht. Mit diesem Aufgang des Lichts spielt der Dom an verschiedenen Stellen, etwa auch in der Sakramentskapelle.
MK: Es gibt verschiedene Deutungen zu den Darstellungen. So gibt es Meinungen, die besagen, die Frau wäre eine allegorische Darstellung der Kirche, die nach Osten, zum Aufgang der Sonne, zu Christus blickt. Wie sehen Sie das?
DOMREKTOR ARIS: Der Kirche würde ich nicht sagen, des Glaubens schon eher, oder dass es ganz allgemein ein Bedürfnis gibt, angesichts des Kampfes, der auf den anderen Teilen der Säule tobt, dass von irgendwoher Licht kommen möge.