München – Schon das Wort allein ist so zutiefst deutsch und intim, dass es andere Sprachen gar nicht kennen. Jedenfalls nicht das Italienische, Französische oder Englische. Patria, patrie oder homeland, keines dieser Worte beschreibt das, was wir mit Heimat meinen.Wir meinen Blut und Boden, Lederhosen, Schweinsbraten und Döner, Gerüche, Aussichten, Stimmungen, Sprach- und Gedankenwelten, Länder und Verfassungen, Weihnachtsbäume, Muttertag und Gräber, Literatur, Musik, Kunst und Religion, Kinderzimmer, Stadtviertel und Straßen. Keine andere Sprache in Europa kennt dieses Wort, das in Deutschland einen immerwährenden Kampf führt und durchlebt – als Opfer und als Täter.
Ort der Zuflucht
Dabei soll dieser Ort uns ja nur Halt geben: Die Kühe stehen immer noch auf der Weide, die Lederhose geht nicht kaputt und die Zwiebeltürme der oberbayerischen Kirchen vor dem Alpenpanorama funkeln in der Sonne. Heimat ist der Ort, an dem wir alles kennen, jedes Geräusch, jeden Duft, jede Stimme. Das alles soll bleiben, soll wachsen und gedeihen, uns ein Ort der Zuflucht sein.
Und dieser Ort liegt im Trend: Musikfestivals wie “Heimatsound”, die nichts mit Politik zu tun haben wollen und wenn eher linke Positionen vertreten, Fernsehserien wie “Dahoam is Dahoam”, dem jüngsten Preisträger des deutschen Buchpreises, “Herkunft” von Saša Stanišic, und letztendlich sogar die Wahl des Feierabendbiers. Da geht es nämlich nicht nur um Geschmack oder Preis, sondern, wie das Branchenmagazin “Inside” berichtet, auch um regionale Verbundenheit.
Eine Gegenbewegung zur Globalisierung
Dass dieser Trend gar nichts Neues ist, erklärt Dr. Thomas Schindler vom Bayerischen Nationalmuseum: In den 50er Jahren hatte Heimat auch Konjunktur, man denke an Heintje und kitschige Heimatfilme. Und auch die Jahre nach der Gründung der Bundesrepublik waren eine Zeit der Unsicherheit und Neuordnung. Genauso wie die Gründungswelle von Heimatmuseen in den 70er Jahren durch eine Gemeindereform ausgelöst wurde, die allein in Bayern die Anzahl an Landkreisen von über 7000 auf 2050 reduzierte: “Man möchte eigentlich auf einen Zustand hinweisen, der in diesem Moment Vergangenheit geworden ist.”
Heute lässt sich der Heimattrend als Gegenbewegung zur Globalisierung verstehen. Es gilt, den Wandel mit Vertrautem oder scheinbar Vertrauten aushaltbar zu machen. Quasi Stubnmusi und lokales Bier gegen wachsende soziale Ungleichheit und Migrationsbewegungen. Dem muss gar nicht Globalisierungskritik oder Rückwärtsgewandtheit zu Grunde liegen. Heimat kann auch eben nur ein temporärer Rückzugs- und Besinnungsort sein.
Mit dem Trend kamen die Ministerien
Heimat ist ein Gefühl und Gefühle eignen sich nicht zur politischen Analyse, aber dafür umso mehr als Kampfbegriffe. Gerade durch die Schwammigkeit hat “Heimat” Konjunktur und lässt sich von allen ge- und missbrauchen - vor allem natürlich von rechts.
Normalerweise gründen sich Ministerien auf realen, messbaren Notwendigkeiten. Wie das Sozialministerium oder das Wirtschaftsministerium. Gefühle oder Kampfbegriffe sind keine realen, messbaren Notwendigkeiten. Aber gereicht hat es dennoch, dass für „Heimat“ nun insgesamt drei deutsche Ministerien zuständig sind: In Nordrhein-Westfalen, in Bayern (eigentlich das Finanzministerium) und im Bund (eigentlich Inneres).