Bereits um die Mitte des fünften Jahrhunderts setzt die ikonographische Überlieferung des Erzengels ein. Die früheste christliche Darstellung ist ein Langhausmosaik von Santa Maria Maggiore um 432/440, das Michael als Boten Gottes darstellt. Weitere frühe Bilder zeigen ihn zumeist als Himmelsfürsten, als Himmels- oder Paradieswächter und als Assistenten Christi (Ravenna, San Apollinare in Classe und San Michele in Afrisco, Mosaiken, beide um 545/550). Er hat dabei das Aussehen eines Jünglings, das er über die Jahrhunderte beibehalten wird. Bekleidet ist er mit einer Tunika und einem Chlamys genannten Reisemantel, bisweilen auch mit einem Pallium.
Im neunten und zehnten Jahrhundert bleibt er weiterhin der Repräsentant des Himmels (Mailand, San Ambrogio, Apsismosaik, erste Hälfte des neunten Jahrhunderts) und zeitgleich entwickelt sich der Darstellungstypus des Drachentöters (British Library, Ms. Tiberius Codex VI, fol. 16, um 1050). Noch in Tunika und Chlamys trägt er nun Speer und Schild, um den Drachen zu bekämpfen. Ab dem elften Jahrhundert tritt er in der Gestalt des Himmelsfürsten und Paradieswächters zurück und die Darstellungen als Drachentöter nehmen zu. Analog dazu mehren sich im Hochmittelalter die Bilder Christi auf dem Basilisken oder Löwen, was sicherlich Michaels große Nähe zu Gott zum Ausdruck bringt. An der Pisaner Domkanzel erscheint er unter anderem mit den freien Künsten, den Evangelisten sowie den christlichen und Kardinalstugenden als Stützenfigur in Tunika, Helm und Wams, mit einem Schwert ausgestattet. Die Kanzel wurde von 1302 bis 1311 von Giovanni Pisano geschaffen. Als Bezwinger des Bösen zeigt sich Michael in den folgenden Jahrhunderten besonders oft. Dabei können zwei Darstellungsmotive unterschieden werden: der Erzengel im Kampf mit dem Drachen beziehungsweise dem Teufel oder über ihm stehend.
Paradieswächter und Drachentöter
Im Hochmittelalter fanden sich derartige Szenen vor allem an den Außenbauten, an Giebeln oder über Portalen großer Kirchen, wie an San Michele in Lucca oder Pavia, ferner auch in der Buchmalerei. Als Seelenwäger erscheint er erst am Ende des Hoch- beziehungsweise ab dem Spätmittelalter. Diese Aufgabe, die ihm bereits frühchristliche Kirchengelehrte zugedacht hatten, vollbringt er meistens in Darstellungen des Weltgerichts. Dabei sind die gotischen Portale der französischen Kathedralen zu nennen wie Amiens, Bourges und Paris, die Michael zwischen den Seligen und Verdammten, also im Dienste der Verstorbenen, zeigen und ihn zu ihrem Schicksal machen.
Seit der Neuzeit wiederholen sich diese drei Darstellungstypen, die sich in den Jahrhunderten zuvor herausgebildet hatten: Michael als Himmelsfürst, als Drachentöter und als Seelenwäger, doch werden sie in neue kirchen- geschichtliche Zusammenhänge gestellt und die Motive miteinander verknüpft. Dem Himmelsfürsten wird nun auch Maria beigestellt, gemeinsam mit Gabriel, wobei die beiden Erzengel den Anfang und das Ende der Heilsgeschichte, Gnade und Gerechtigkeit, verkörpern. Auch Bildwerke des Erzengels in der Gemeinschaft von Heiligen kommen vor sowie ganze Erzengelzyklen.
In der Pfarrkirche St. Michael in Mettenheim haben sich hierzu sieben spätbarocke Erzengelskulpturen erhalten, die in Wams und Leibrock das Wirken Gottes versinnbildlichen. Michael steht unter ihnen als Teufelstöter mit erhobenem Flammenschwert, mit dem er das Böse bezwingt und zugleich die Irrtümer der Welt erleuchtet, sodass sie der Gläubige erkennen kann. In dieser Pose erscheint der Erzengel vermehrt in gegenreformatorischer Zeit, wie an der Fassade der Münchner Jesuitenkirche St. Michael, die Ende des 16. Jahrhunderts errichtet wurde. Die Bronzeplastik, die von Hubert Gerhard 1588 geschaffen wurde, zeigt Michael über dem Teufel stehend, gerade im Begriff, ihn mit der Lanze zu töten. Er bezwingt also das Böse und beseitigt damit auch die Irrlehren dieser Welt.
Dieselbe Intention vermittelt das umfassende ikonographische Programm der Pfarrkirche St. Michael in Berg am Laim. Der vom bayerischen Kurfürsten und Kölner Erzbischof Clemens August initiierte herausragende Rokoko-Sakralbau von Johann Michael Fischer diente als Hofkirche und als Hauskirche des Michaelsordens und der St. Michael-Bruderschaft.
In drei Erscheinungen tritt der Erzengel Michael in den Deckenbildern von Johann Baptist Zimmermann entgegen: das Anzeigen des Heiligen Ortes auf dem Monte Gargano im Langhausfresko, das siegreich-heilsgeschichtliche Einwirken Michaels bei der Schlacht von Sipont im Chor und schließlich: Über dem Hochaltar steigt Michael in den Kirchenraum und verkündet (im Schriftband): „Ich selbst habe diesen Ort geweiht.“ Berg am Laim wird also zum zweiten Monte Gargano und die Gegenwart Michaels ist real, jener Michael, der dann auch im grandiosen Hochaltarblatt von Johann Andreas Wolff Luzifer das „Wer ist wie Gott“ entgegenschleudert und ihn in die Hölle stürzt. Gott, der dann im Tabernakel und in der Feier der Eucharistie unter dem Altarfresko und Hochaltarbild wahrhaft gegenwärtig ist.
Sprachrohr Gottes
Als Seelenwäger ist Michael auf dem Schalldeckel der Kanzel in der Pfarrkirche St. Michael in Attel zu sehen. Er steht in Rüstung auf einer Wolke und mit der rechten Hand umgreift er das Schwert, während er in der linken die Waage balanciert. Eine Menschenseele wird gerade mit dem Teufel aufgewogen, ein sicherlich eindrückliches Bild für den barocken Menschen, der zur Predigt des Pfarrers emporblickte. Es wird also auf Michaels Aufgabe als Verfechter und Beschützer des wahren Glaubens, der Kirche und zugleich auf seine Rolle beim Jüngsten Gericht verwiesen, vor dem er als Sprachrohr Gottes die Posaunen erschallen lassen (1 Thess 4,16) und bei dem er über Selige und Verdammte entscheiden wird.
Am Hochaltar in Attel wird er als Bezwinger des Drachens über die Darstellung des Apokalyptischen Weibes am Altarblatt, eine Kopie des ehemaligen Hochaltarbilds des Freisinger Doms von Peter Paul Rubens, gestellt und somit seine für die Endzeit wesentliche Rolle betont. Diese Bedeutung kommt auch in Bildern zum Ausdruck, die ihn gemeinsam mit der Heiligen Dreifaltigkeit zeigen, so wie das Choraltargemälde der Pfarrkirche St. Michael in Peiting, das 1869 von Albert von Keller geschaffen wurde (heute in einem neuen Wechselaltar, der zu Hochfesten des Kirchenjahres eine kraftvolle Figur aus dem Umkreis der Bildhauerfamilie Zürn zeigt).
Michaels herausragende Rolle unter den Erzengeln ist bis heute unumstritten und die Auseinandersetzung mit diesem Bildthema fand auch in der Moderne ab der Mitte des 20. Jahrhunderts statt. Jacob Epstein bildete den Erzengel 1958 an der Neuen Kathedrale von Conventry ab. Bekanntermaßen wurde die alte Kirche durch deutsche Jagdbomber im Zweiten Weltkrieg zerstört, sodass der Patron der Kirche über allem Zerstörerischen steht und in dem Sinne ein Mahnmal gegen Krieg, Verfolgung und Vernichtung darstellt. (Norbert Jocher)