Die sieben Todsünden als Lebensbetrachtung in der Fastenzeit – ist das eine zeitgemäße Idee? Ist dieses Denkmodell nicht viel zu mittelalterlich schwarzweiß und damit ungeeignet für eine moderne ethische Reflexion unseres Handelns?
Übrigens: „Todsünde“ ist hier eigentlich das theologisch falsche Wort, auch wenn es sich eingebürgert hat. Ich möchte hier lieber von „Urkräften“ sprechen. Denn wenn wir genau hinschauen auf diese machtvollen und immer noch wirksamen Kräfte, dann entdecken wir: Diese Wörter beschreiben nur das negative Extrem neutraler und wertfreier starker Kräfte, die am anderen Ende der Skala je eine ebenso starke gute Seite haben, die heilvoll, sogar lebensnotwendig ist. Die Frage ist: Wo befinde ich mich zwischen den beiden Extremen dieser Urkräfte? Wo ordne ich mein Verhalten, meinen Lebensstil ein?
Selbstbewusstsein oder Hochmut?
Ein gesundes Selbstbewusstsein ist etwas sehr Lebensförderliches. Mir bewusst zu sein, dass ich etwas kann, dass ich wertvoll bin, ja auch, mich selbst schön zu finden, ist wichtig und gesund. Dazu gehört aber auch, mir bewusst zu sein, wo meine Grenzen sind. Und dazu gehört, andere anzuerkennen, ihre Fähigkeiten und ihre ganz eigene Schönheit zu sehen und wertzuschätzen.
Erst wenn ich diese Aspekte außer Acht lasse – meine Grenzen nicht mehr sehe und den anderen aus dem Blick verliere –, bin ich in Gefahr, dass diese Urkraft aus dem Lot gerät und ich mich selbst absolut setze. Denn dann wird aus dem Guten zu viel, werden aus Selbstbewusstsein narzisstische Selbstfixierung und Eitelkeit, Selbstüberschätzung, falscher Stolz, Überheblichkeit und Machbarkeitswahn. Hochmut ist besonders auffällig und unheilvoll bei den Mächtigen dieser Welt, die die Möglichkeiten haben, Kriege anzuzetteln und die Welt zu verändern. Aber wie so oft beginnt auch der Hochmut im Kleinen, auch bei mir selbst.
Achten Sie heute einmal bei allen Begegnungen darauf, wie Sie Menschen betrachten: Sehe ich eher auf andere herab? Oder bin ich eher so, dass ich automatisch zu anderen aufschaue? Die beste und reifste Haltung wäre, allen auf Augenhöhe zu begegnen, also ihren und meinen Wert zu sehen. Aber gelingt mir das immer? Versuchen Sie deshalb mal ganz bewusst, an allen Menschen (auch an sich selbst!) etwas Bewundernswertes und Schönes zu entdecken!
Selbstsorge oder Gier?
Es ist vernünftig und richtig, wenn ich für mich und meine Lebenssicherheit selbst Sorge trage, wenn ich mein eigenes Auskommen und das meiner Familie sichere, eine Altersvorsorge treffe und für die Zukunft meiner Kinder einen guten Start lege. Dazu braucht es Geld und Besitz. Aber wann ist genug genug? Wann wird aus Lebenssicherung Besitzgier?
Die Weltwirtschaft funktioniert nach dem Gier-Prinzip des immerwährenden Wachstums und wir sehen bereits nachhaltig schädliche Folgen für die gesamte Welt. Unser Reichtum beruht auf der Armut ganzer Länder und auf der Ungerechtigkeit des Systems. Wir können uns diesem Netzwerk nicht so einfach entziehen. Aber wir können uns selbst gewisse Grenzen setzen und uns entscheiden, wann es für uns genug ist. Das Ziel wäre eine vernünftige, ausgewogene Bescheidenheit. Denn Besitz ist nicht der einzige Reichtum in unserem Leben und Geld ist nur ein Werkzeug, nicht das Ziel.
Übung für einen Perspektivwechsel: Erstellen Sie doch einmal eine Liste mit zehn Dingen, die Sie wirklich von innen her reich machen! – Und Geld darf nicht draufstehen.
Genuss oder Völlerei?
Seien wir mal ehrlich: Wir leben in einer Gesellschaft der Völlerei. Unsere Supermärkte, Kaufhäuser und Internet-Plattformen sind übervoll mit Waren, die wir im Grunde nicht wirklich in dieser Vielfalt brauchen, die oft ungesund oder schädlich für die Umwelt und die Weltgerechtigkeit sind. Dieses Angebot verführt und hat uns längst an ein „Zuviel“ gewöhnt.
Da ist es schwer, das richtige Maß zu finden. Wir kaufen, essen, verbrauchen, werfen weg – alles in Überfülle. (Übrigens: Man kann auch mit gesunden Dingen Völlerei betreiben, zum Beispiel besessen sein von gesunder Ernährung oder Fitness.) Aber auch diese Urkraft hat eine heilvolle Seite: den Genuss! Bewusstes Genießen von etwas Gutem ist etwas völlig anderes, als sich vollzustopfen. Wer genießen kann, braucht weniger und hat mehr davon!
Deshalb lade ich Sie zu folgender Übung ein: 1. Verzichten Sie heute ganz bewusst auf eine Sache: Kaufen, essen oder trinken Sie heute etwas bewusst nicht, wovon es in Ihrem Leben weniger geben sollte. 2. Genießen Sie heute etwas ganz bewusst! Gönnen Sie sich eine besondere Sache – nicht viel davon, aber etwas, das Sie besonders gerne mögen. Nehmen Sie sich bewusst Zeit dafür und lassen Sie sich ganz auf diesen Genuss ein!
Entspannung oder Faulheit?
Immer fleißig, nie untätig – das ist eine alte Tugend. Produktiv und arbeitsam sein ist im Berufsleben ein hohes Gut. Faulheit geht gar nicht! – Oder doch? Längst haben sogar die Arbeitgeber erkannt, dass es Zeiten der Ruhe und Entspannung braucht. Der Workaholic ist nicht mehr das Idealbild der Zeit. Und doch fällt es vielen Menschen unendlich schwer, wirklich zur Ruhe zu kommen und zu entspannen, sodass neue Kräfte wachsen können.
Wir brauchen eine gesunde Faulheit ab und zu. Schwierig wird es dann, wenn ich meinen Hintern gar nicht mehr hochbekomme. Wenn aus entspannter Faulheit gewohnheitsmäßige Trägheit wird; wenn ich genau weiß, dass etwas getan werden müsste, mir aber meine eigene Bequemlichkeit wichtiger ist. Wenn ich Not sehe, die ich lindern könnte, mich aber blind stelle und mit einem „Was kann ich schon tun?“ abwinke. Diese Art Faulheit ist pure Passivität mit einer guten Portion Egoismus, Ignoranz und jeder Menge Ausreden.
Fragen Sie sich doch mal: Was wollte ich schon lange anpacken, endlich angehen, verändern? Und beginnen Sie heute mit einer Sache! Es muss nicht gleich weltverändernd sein. Es muss heute nicht fertig werden. Nur beginnen ist schon ein Erfolg! Man sagt übrigens, dass man Veränderungen dauerhaft im Leben verankern kann, wenn man drei Wochen durchhält. Probieren Sie doch mal aus, ob das stimmt!