Geschwätz und Lärm bleiben im Flur zurück, als sich das Klassenzimmer füllt. Mit Spannung beobachten die angehenden Heilerziehungspfleger, wie Tobias Wolf eine große Anlage aus seiner Sporttasche zieht. Er steckt sein Mikro ein und stimmt das Lied „I’m in the Mood“ an. Tobias Wolf ist 33 Jahre alt, hat das Downsyndrom und unterrichtet seit zehn Jahren Englisch. Wie, das zeigt er an der Caritas-Fachschule für Heilerziehungspflege in Altenhohenau. Während einer Workshopwoche erzählen behinderte Menschen ihre Geschichte.
Die von Tobias Wolf ist ungewöhnlich: Nach dem Kindergarten in Mittenwald besuchte er die Münchner Montessori-Schule der Aktion Sonnenschein, in der er seinen Hauptabschluss machte. Englisch lernte er in den USA, wo sein Vater arbeitete und er in die Highschool ging. Seine Eltern hatten sich bewusst dafür entschieden, Tobias wie ihre beiden älteren Söhne zu erziehen; ihn zu fördern und nicht zu sehr zu behüten. Elisabeth Wolf staunt bis heute: „Während hier vor zehn Jahren Inklusion noch kein Thema war, gehören Kinder mit Downsyndrom an amerikanischen Schulen seit Langem zum Alltag.“
Für die Grundschüler in Biberkor am Starnberger See, wo Tobias Wolf regelmäßig als Projektkraft lehrt, ist er niemand „Besonderes“ mehr. Für die Auszubildenden der Caritas-Fachschule schon. „Uns ist wichtig, dass man als Erstes auf die Fähigkeiten schaut und nicht auf das, was man nicht kann“, sagt Christl Mrowczinski, die stellvertretende Schulleiterin, der Münchner Kirchenzweitung. Als sie in den 70-er Jahren ihre Ausbildung absolvierte, war es eher umgekehrt. Mrowczinskis Auszubildende arbeiten heute in verschiedenen Einrichtungen und begleiten einen behinderten Menschen über mehrere Jahre. Aber sie kannten bislang niemanden, der einen Job auf dem freien Arbeitsmarkt ausübt.
2006 machte sich Tobias Wolf selbstständig: „Tobi’ s Business Agency Ltd“ heißt seine Firma. Er habe mit Liedern Englisch gelernt, erzählt er. In den USA kamen Wortkarten hinzu, zurück in Deutschland entwickelte er ein Programm, um Kindern Englisch spielerisch beizubringen. Alle Unterrichtsmaterialien entwickelt Tobias Wolf selbst. Bunte Vokabelkärtchen und Arbeitsblätter zum Ausfüllen oder Anmalen geben dem Unterricht eine feste Struktur und dem engagierten Lehrer Sicherheit. Bislang hilft ihm seine Mutter bei der Vorbereitung der Materialien und begleitet ihn auf Termine. Nun sucht sie einen Assistenten. „Davon leben kann Tobias nicht“, sagt Elisabeth Wolf, „aber vielleicht bekommt er bald mehr Aufträge.“
Lehrer mit Behinderungen gibt es an bayerischen Schulen wenige. Dabei müssten auch Schulen die gesetzliche Quote von fünf Prozent schwerbehinderter Mitarbeiter erfüllen. Bei den Lehrkräften an diözesanen Schulen im Erzbistum München und Freising beträgt die Quote immerhin 2,88 Prozent und 4,65 Prozent bei Religionslehrern im Kirchendienst. „Wir stehen erst am Anfang der Inklusion, auch im Ordinariat“, sagt Carola Bielmeier, Vertrauensfrau der Schwerbehinderten im Erzbistum, und stellt klar: „Bei der Inklusion geht es nicht nur darum, ein Schulgebäude rollstuhlgerecht umzugestalten. Es gibt viele Barrieren, vor allem in den Köpfen der Menschen.“ (Julia Walker)