mk online: Ein durchtrainierter Körper, kein Speck an den Hüften, was kann denn daran schlecht sein oder süchtig machen?
Christian Strobel: Zunächst einmal: Sport ist gut. Aber ich habe Patienten, die können damit nicht mehr aufhören. Die rutschen dann in eine Schleife und machen neun bis zehn Mal Sport in der Woche. Nach dem Unterschied, wo ist es noch normaler Sport und wo wird’s kritisch, werde ich oft gefragt. Die Antwort darauf ist relativ einfach: Wenn Sport zu stören beginnt und sich immer mehr in den Vordergrund drängt: Also wenn ich mich gezwungen fühle, ins Training zu gehen, auch wenn ich krank bin und der Körper Ruhe und keine Bewegung braucht. Wenn mir also alles andere und mir nahestehende Menschen gleichgültig werden.
mk online: Was sind das für Menschen, die an dieser Sportsucht leiden?
Strobel: Das sind Leute wie du und ich. Ich habe Schüler mit guten Noten in der Behandlung, Familienväter oder auch den Kfz-Mechatroniker, den die Freundin zu mir schickt. Die meisten Betroffenen kommen tatsächlich auf Druck ihrer Angehörigen, die ihnen sagen, dass sie da ein Problem haben. Sportsüchtige sagen die Teilnahme an Familienfeiern ab, weil sie an diesem Tag gerade trainieren müssen. Oder sie begründen die Absage damit, dass es auf dem Fest Torte gibt und sie momentan nichts als Eiweiß essen können, um den Muskelaufbau nicht zu stören. Andere Betroffene fahren nicht mehr in den Familienurlaub, weil es da keine Fitness-Studios gibt und stehen auch mit Grippe auf dem Laufband. Wie bei anderen Suchtkrankheiten bagatellisieren die Patienten das und behaupten, sie könnten jederzeit aufhören, nur wollen sie das zurzeit nicht oder noch nicht. Und das perfide bei der Sportsucht ist eben, dass Sport ja allgemein als gesund gilt.
mk online: Was sind denn die Ursachen, wenn jemand nicht mehr aus dem Fitness-Studio herauskommt?
Strobel: Das sind vor allem drei Säulen: Ein relativ geringes Selbstwertgefühl, das ich durch körperliche Leistung ausgleiche. Dann spielt Emotionsregulation eine Rolle: Ich ärgere mich furchtbar über meinen Chef, meine Partnerin und oder meinen Partner und nach vier Stunden im Fitness-Studio habe ich mich ausgetobt und es geht mir endlich besser. Natürlich kommt es da oft zu sich selbst verstärkenden Kreisläufen: Am nächsten Tag bin ich wieder angespannt, weiß, der Sport gleicht das aus und ich probiere nichts anderes mehr, um Ärger oder Probleme zu lösen. In der Therapie geht es dann darum, diesen Menschen Alternativen aufzuzeigen. Schließlich gibt es Menschen, die unter einem verzerrten Körperselbstbild leiden, unbedingt schlanker oder muskulöser werden wollen. Das kennen wir auch aus dem Bereich der Ess-Störungen: Das dünne Mädchen, das sich vor dem Spiegel viel zu dick vorkommt. Das lässt sich auch auf Sport- und Muskelsucht übertragen.