mk online: Wie sehen Sie die aktuelle politische Situation in Bezug auf Geflüchtete, die nach Deutschland wollen?
Monsignore Rainer Boeck: Im Moment kommen wieder viele Flüchtlinge nach Deutschland – aus der Ukraine, aber auch aus anderen Ländern. Natürlich ist das für uns nicht leicht zu schultern. Und doch kann man nur staunen, wie gut, ja fast geräuschlos uns die Aufnahme von über einer Million Ukrainerinnen gelungen ist. Umso bedenklicher sind jetzt die Diskussionen sowohl bei uns als auch auf EU-Ebene, die mehr oder weniger auf die Schließung der Außengrenzen und eine totale Abschottung Europas abzielen. Das Asylrecht besagt aber, dass jeder Geflüchtete das Recht hat, sein Asylbegehren zumindest ordnungsgemäß prüfen zu lassen. Durch die Bemühungen, die Verfahren an die Außengrenzen zu verlagern, also zum Beispiel nach Libyen, soll dieses individuelle Recht erheblich eingeschränkt werden. Man will die Menschen gar nicht erst zu ihrem Recht kommen lassen, sondern sie draußen vor den Toren Europas halten. Das empfinde ich als schlimm und bedenklich. Denn am Ende läuft es auf eine Aushöhlung der Genfer Flüchtlings- und der Europäischen Menschenrechtskonvention hinaus. Es scheint, als stünde die europäische Asylpolitik vor ihrem Bankrott. Dabei weiß man, dass dichte Grenzen, dass Mauern und Stacheldraht nie eine Lösung auf Dauer sind. Ganz abgesehen von den Wirkungen auf die eigene Gesellschaft, die sich in ihre Grenzen einschließt. Es ist noch nicht zu lange her, dass die Mauern der DDR gefallen sind.
Wie hat die Erzdiözese am Beginn des Krieges in der Ukraine und damit auf die Flüchtlingswelle reagiert?
Boeck: Das war eine enorme Herausforderung. Gott sei Dank konnten wir rasch und erfolgreich reagieren. Ich erinnere nur an den Infopoint der Caritas am Münchener Hauptbahnhof. Die Mammutaufgaben stellen sich aber erst hinterher: die Suche nach Wohnraum und Arbeit. Vorher stehen noch die schulischen und beruflichen Bildungsmaßnahmen, die wiederum deutsche Sprachkenntnisse voraussetzen. Und, und, und. Überall da helfen wir mit viel persönlichem Einsatz, aber auch mit finanzieller Unterstützung.
Was erfahren Sie von den Menschen, wenn Sie in die Einrichtungen gehen und Projekte besuchen?
Boeck: Mir geht es da wie jedem Menschen. Als Erstes ist man immer versucht, die Geflüchteten zu fragen, woher sie kommen, wie es ihnen auf der Flucht ergangen ist, was sie alles erleiden mussten. Das sind allerdings gefährliche Fragen, weil sie tiefe Wunden aufreißen und zu Retraumatisierungen führen können. Viel wichtiger ist da die Frage, wie ihre jetzige Situation ist, wie es ihnen aktuell geht und welche Hoffnungen sie haben. Und wenn ich als Vertreter des Erzbischöflichen Ordinariats da bin, kommen natürlich auch Erwartungen auf mich zu: Was kannst du denn konkret für mich tun? Wichtig ist mir da die Einbeziehung unserer tollen Helferkreise.