Würzburg/Dachau — „Arbeit macht frei“ stand als zynische Begrüßung über dem Tor zum KZ Dachau. Mehr als 200.000 Gefangene aus vierzig Ländern gingen durch diese Hölle, unter ihnen fast 2.600 katholische Geistliche. Am 3. Juni 1941 passiert ein 30-jähriger Ordenspriester in Dachau ein, ein begeisterter Seelsorger voller Ideale, ein bescheidener Mensch, aber nicht bereit, sich den Mund verbieten oder den Charakter verbiegen zu lassen. Der hochintelligente Bauernsohn aus Böhmen hat auf den Äckern hart arbeiten müssen, um den Vater zu ersetzen, der auf dem Russland-Feldzug im Ersten Weltkrieg an Typhus gestorben ist, als der Bub gerade fünf Jahre alt war. Trotzdem ließ ihn seine Mutter später zu den Mariannhiller Missionaren gehen, wo er wie ein Besessener Fremdsprachen lernte, um in die Mission wechseln zu können. Auf seiner ersten Seelsorgsstelle kümmert er sich trotz Verbots intensiv um französische Kriegsgefangene.
Angezeigt von Hitlerjungen
Nicht einmal zwei Jahre nach seiner Priesterweihe wird er verhaftet und wegen „heimtückischer Äußerungen“ und „Verteidigung der Juden“ in Predigt und Unterricht angeklagt. Hitlerjungen haben den aufrechten Religionslehrer angezeigt. Im KZ Dachau wird er auf den Kräuterfeldern und bei den Esskübeltransporten eingesetzt – Arbeiten, die einer Folter gleichkommen. Zwei Priester müssen die bis zu 75 Kilo schweren Suppenkübel durch das ganze Lager schleppen, in sengender Mittagshitze und im Winter über vereiste Trampelpfade, angetrieben von prügelnden SS-Leuten. Auch das Schuften auf den Kräuterfeldern – wo die SS Pfeffer und Paprika, Heilpflanzen und Drogen anbaut – bedeutet für die ausgemergelten Elendsgestalten eine lebensgefährliche Marter: auf den Knien in stinkenden Wasserlöchern herumkriechen, bei Regen und Schnee, ohne die kleinste Mahlzeit, weil diese Tätigkeit nicht als Arbeit gilt. „Es waren furchtbare Monate“, hat ein Mitbruder notiert. „Wir mussten Schubkarren fahren, Beete ausheben, saßen bei Regen und Sturm auf Pikierbeeten.“
Pflege von Typhus-Erkrankten
Im Dezember 1944 bricht eine verheerende Typhus- Epidemie in Dachau aus; innerhalb eines Monats sterben 2.800 Häftlinge. Jetzt kommen die SS-Gewaltigen plötzlich mit einer Bitte zu den verhassten „Pfaffen“: Sie sollen Pflegerdienste in den verseuchten Baracken übernehmen. Unter den 20, die sich freiwillig zu diesem Himmelfahrtskommando melden – zehn Deutsche, zehn Polen –, ist auch Pater Engelmar. In den Typhusbaracken herrscht das Chaos. Die vor Schmerz schreienden, im Delirium phantasierenden Kranken wälzen sich in ihrem eigenen Kot auf blanken Brettern, bei eisiger Kälte. Die paar Lumpen auf den ausgezehrten Körpern wimmeln von Läusen und Flöhen. Die Helfer, so ein Augenzeuge, „fegten die Bretter und Pritschen sauber, so gut es ging, wuschen die verdreckten, schwitzenden, stinkenden, zu Skeletten ausgemergelten Leiber, sammelten verlauste Kleider ein, zündeten sie an, das Feuer fraß sich hinein in den von Läusen wimmelnden Kleiderberg, vernichtete die Kleider, aber das Ungeziefer schien unsterblich zu sein …“
Im Würzburger Kiliansdom wird Engelmar Unzeitig am Samstag, 24. September, seliggesprochen. Aus diesem Anlass sendet das Münchner Kirchenradio das Hörspiel "Der Engel von Dachau" aus dem Hause "Loyola Productions Munich".Sendetermine: Samstag, 24. September, ab 20 Uhr/Sonntag, 25. September, ab 22 Uhr.
Pater Engelmar wäscht diese menschlichen Skelette und ihre Lagerstätten, tröstet, spricht in der letzten Stunde Mut zu. „Das ist er gewesen: Liebe!“, weiß ein mitgefangener Pfarrer zu berichten. Und in seinem letzten Brief nach Hause erklärt Engelmar unbeirrt, das Gute sei unsterblich, „und der Sieg muss Gottes bleiben, wenn es uns auch manchmal nutzlos erscheint, die Liebe zu verbreiten in der Welt“. All unser Tun und Können, „was ist es anders als seine Gnade, die uns trägt und leitet. (…) Liebe verdoppelt die Kräfte, sie macht erfinderisch, macht innerlich frei und froh.“
Bald aber ist der unermüdliche Helfer selbst dem Tod nahe. Er sei vor seinem Gesicht erschrocken, erinnert sich ein Mithäftling. „In hohem Fieber erglänzten die Augen, und die eingefallenen Wangen zeigten scharf geränderte rote Flecken. Etwas gekrümmt stand er da. Eng zog er seine dünne Häftlingsjacke zusammen, weil der Fieberfrost ihn schüttelte. Auch war es noch Winter, etwa um den 20. Februar 1945. Meine Mahnung zur Vorsicht beantwortete er mit einem freundlichen Lächeln. Er unterschätzte völlig seine gefahrvolle Lage und schien es nicht zu ahnen, dass der Tod ihn bereits unwiderruflich festhielt. Er wollte ja noch vielen helfen, und viele warteten auf seine Hilfe. An sich selbst jedoch dachte er nicht.“
Am 2. März 1945, einen Tag nach seinem 34. Geburtstag, stirbt Engelmar Unzeitig. Freunde schmuggeln seine aus dem Krematorium gerettete Asche als „Streusand“ aus dem Lager. Heute befindet sich die Urne in der Würzburger Herz-Jesu-Kirche. (Christian Feldmann)
Bei der Seligsprechung stellt die katholische Kirche durch das Urteil des Papstes fest, dass eine verstorbene Person vorbildlich aus dem Glauben gelebt hat und Christus in besonderer Weise nachgefolgt ist. Daraus ergibt sich die offizielle Empfehlung, diese als Vorbild und als Fürsprecher bei Gott anzunehmen. Der Seligsprechung kann eine Heiligsprechung folgen. Erst dann darf die betreffende Person offiziell weltweit verehrt werden. Der Seligsprechung geht ein kirchliches Untersuchungsverfahren voraus. Dazu muss die jeweilige Ortskirche Informationen über Leben und Sterben der betreffenden Person sammeln und ein Wunder oder den Märtyrertod sowie Tugendhaftigkeit und den "Ruf der Heiligkeit" nachweisen. Nach Abschluss dieses Verfahrens werden die Akten der vatikanischen Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungen zugeleitet. Diese prüft in einem eigenen Verfahren die Echtheit der Dokumente und Zeugenaussagen und holt gegebenenfalls Gutachten über Wunder ein.