Altötting – Ein süßlicher Geruch zieht durch den langen Klostergang und als Bruder Jeremias Borgards die Tür öffnet, fliegt eine kleine Rauchschwade an ihm vorbei. Der Kapuziner raucht gemeinsam mit drei jungen Männern Wasserpfeife in einem Aufenthaltsraum. Das mache er schon seit 35 Jahren gerne, sagt er. „Doch mit unseren afghanischen Mitbewohnern haben wir uns da richtige Experten geholt.“ Die drei Männer grinsen ein wenig verlegen, während Bruder Jeremias in seinem Schaukelstuhl wippt und die lockere Atmosphäre genießt.
Vor zwei Jahren öffnete die Gemeinschaft der Kapuziner ihr Kloster, als im Zuge der Flüchtlingskrise 2015 immer mehr Menschen in Deutschland Zuflucht suchten. „Ich war ehrenamtlicher Mitarbeiter in München und habe gesehen, wie Menschen teilweise untergebracht wurden“, erzählt Bruder Jeremias, „aus unserer franziskanischen Tradition heraus haben wir gesagt, dass wir diese Not lindern müssen.“ Und so zogen vier junge, damals minderjährige Flüchtlinge ins Kapuzinerkloster St. Konrad im bekannten Marienwallfahrtsort Altötting.
Als Muslim im katholischen Kloster
Junge männliche Flüchtlinge, möglicherweise traumatisiert, und eine katholische Brüdergemeinschaft, die ein streng geregeltes Leben führt? Auf den ersten Blick scheint das eine konfliktträchtige Mischung zu sein. Diese Angst hatte auch der damals 17-jährige Ali, als er vor zwei Jahren nach Altötting kam. „Ich bin Muslim und werde auch einer bleiben. Ich hatte schon ein bisschen Angst, wie es werden würde, in einem katholischen Kloster zu leben.“ Gerade der Anfang sei schwer gewesen, weil er kein Wort Deutsch habe sprechen können.
Bruder Jeremias hat Pflegevaterschaft übernommen
Doch nach nur einer Woche brach das Eis. Mittlerweile sprechen alle jungen Mitbewohner Deutsch, machen gerade ihren Schulabschluss oder stehen mitten in der Berufsausbildung. Ali arbeitet schon seit einem Jahr als Kinderpfleger und ist sichtlich zufrieden mit seiner Wahl. Bruder Jeremias ist stolz auf seine Zöglinge, für die er alle die Pflegevaterschaft übernommen hat. „Ali war sein ganzes Leben nicht einen Tag in der Schule, bevor er nach Deutschland kam. Jetzt kann er lesen und schreiben, spricht Deutsch und arbeitet – und das alles in nur zwei Jahren.“
Multikulturell leben
Der Konvent beschloss die Öffnung für Flüchtlinge vor zwei Jahren einstimmig. Alles andere hätte eine kleine Gemeinschaft von sechs Brüdern auch gesprengt, erklärt der Kapuziner. „Wir hatten viel weniger Bedenken bezüglich der Tatsache, mit Muslimen oder Flüchtlingen zusammen zu leben, als vielmehr bezüglich der Tatsache, dass Jugendliche ganz andere Bedürfnisse haben als wir.“
Wenn die Brüder um 19 Uhr zu Abend essen, sind Bruder Jeremias’ Schützlinge im Fitness-Studio oder treffen sich mit Freunden. „Wir haben da einfach einen Kompromiss gefunden. Die Jungs essen am Wochenende mittags mit uns und müssen sich dort mit einbringen. Seitdem wir hier multikulturell leben, gibt’s am Wochenende gute Sachen aus der ganzen Welt – ein toller Nebeneffekt.“
Verbale Attacken und Morddrohungen
Einigen Menschen ist diese unorthodoxe „Männer-WG“ allerdings offensichtlich ein Dorn im Auge. Der sitzt so tief, dass Bruder Jeremias mittlerweile auf offener Straße verbal attackiert wird. Zwei Morddrohungen hat er bekommen. Immer wieder sind die Klostermauern mit nationalsozialistischen Symbolen vollgesprayt. „Ich bin als Verräter des christlichen Abendlandes tituliert worden, der eine radikale 1A-Moschee in der Nähe des Altöttinger Kapellplatzes bauen will“, berichtet Bruder Jeremias.
Schockiert über Niveau an Hass
Er komme aus dem Ruhrgebiet, und sei schon immer multireligiös geprägt gewesen. Dass es im katholischen Oberbayern ein wenig anders zugehe, davon sei er ausgegangen. „Aber über dieses Niveau an Hass, das einem da entgegenschlägt, bin ich schockiert. Das hatte ich niemals erwartet“, sagt der Kapuziner. Beeindrucken lasse sich die Gemeinschaft davon aber nicht. „Denn wir müssen so handeln, wie es unseren Ordensregeln entspricht.“