Jesus als Vorbild – ich möchte mich dem Thema mit einer Vorüberlegung nähern: Jesus ist gewiss Vorbild auf eine andere Weise, als es uns gute Eltern, engagierte Lehrer, faszinierende Mitmenschen sind. Bevor Jesus mir Vorbild ist, ist er mein Erlöser. Nicht zunächst zur Nachahmung, sondern zur Nachfolge lädt er mich ein. Doch das vorausgesetzt, fordert er dann sogar selbst dazu auf, in der Nachfolge auch sein Nachahmer zu werden: „Wenn ich, der Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, dann müsst auch ihr einander die Füße waschen.“ (Joh 13,14) Aus der Fülle des Nachahmenswerten will ich nur vier Punkte
herausheben.
Dank
In allen Evangelien wird deutlich, wie sehr der Dank die alles andere orchestrierende Grundmelodie des Lebens Jesu war. Jesus weiß sich durch und durch beschenkt. „Alles, was du mir gegeben hast, ist von dir.“ (Joh 17,7) Am deutlichsten wird es im Abendmahlssaal wenige Stunden vor Jesu gewaltsamen Tod. Nicht mit seinem Schicksal hadernd, sondern dankend teilt er sich, sein Leben und Sterben, als „Brot des Lebens“ an die Seinen aus. Eucharistie, Danksagung, ist daher die zentrale christliche Feier. Dankbarkeit als Grundhaltung kommt aus der Bereitschaft, nichts in meinem Leben einfach als selbstverständlich zu nehmen. Sie kommt aus dem immer neuen Staunen über das Kleine und Große, das mein Leben ermöglicht und bereichert. Sie kommt, wie Matthias Claudius dichtet, aus der Freude, „wies Kind zur Weihnachtsgabe, dass ich bin, bin! Und dich schön menschlich Antlitz habe“. Wer dankbar ist, weiß sich beschenkt. Wer sich
beschenkt weiß, weiß sich geliebt. Wer sich geliebt weiß, erfährt jenes Glück, das allein die Liebe gewährt.
Gehorsam und Freiheit
Es gibt nicht eine einzige Stelle in den Evangelien, an der uns Jesus im Gestus eines auf Autonomie und Selbstbestimmung bedachten Menschen begegnet. Diese prometheische Haltung des modernen, aufgeklärten Menschen ist ihm zutiefst fremd. Ganz und gar aus dem Willen des Vaters zu leben – „Meine Speise ist es, den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat.“ – „Vater, nicht mein, sondern dein Wille geschehe!“ – ist ihm so sehr Grundhaltung, dass wir ihn ohne diesen Aspekt grundlegend missverstehen würden. Das Paradoxe ist, dass Jesus innerhalb dieses demütigen Gehorsams auf eine Weise souverän und selbstbestimmt auftritt, frei von jeder Art Menschenfurcht, in einer Hoheit und Freiheit, die ihresgleichen sucht. In ihm gehören Freiheit und Gehorsam untrennbar zusammen, ist Gehorsam die unverzichtbare Grundlage seiner Freiheit. Als HERR hat er gedient, Gott und seinen Mitmenschen. Wie heilsam und befreiend für uns selbst und unsere Umgebung diese zugleich demütige und freie Grundhaltung ist, erlebe ich durchaus immer wieder in meiner seelsorglichen Praxis.