Ein provokantes Thema für ein kirchliches Medium! Das fordert entrüstete Leserbriefe doch geradezu heraus, wenn da nicht sofort ein klares „Nein“ vom Verfasser kommt. Aber sachte, gemach! Ich denke, der Formulierung lässt sich theologisch durchaus etwas abgewinnen. Man muss ja „Erfindung“ nicht gleich abwertend verstehen, wie im alltäglichen Sprachgebrauch, als Reaktion auf eine unwahrscheinliche Geschichte: „Ist dir das wirklich passiert oder hast du das erfunden?“
Erfindung kann nämlich auch auf die geistige Tätigkeit eines Menschen abheben – als Lösung eines technischen Problems, die dann „patentiert“ wird, oder als Entwicklung eines theoretischen Modells zum besseren Verständnis der Wirklichkeit. So gesehen ist die Welt der Wissenschaften voller Erfindungen – nicht nur im technischen Sinn, sondern als kreatives Element auf dem Weg der Theoriebildung. Der Chemiker August Kekulé zum Beispiel hat die Strukturformel des Benzols nicht entdeckt, sondern sie ist ihm, wie er selbst schreibt, im Traum aufgegangen. Der berühmte Benzolring – seine Erfindung!
Ähnlich ist die Urknalltheorie, mit der die moderne Kosmologie die Entstehung des Universums beschreibt, eine Erfindung des belgischen Priesters Georges Lemaître, aber nicht dessen Entdeckung – wie sollte sie auch? Naturgesetze sind zu entdecken, Theorien werden erfunden – das ist (nicht ganz unproblematisch) die heute gängige Unterscheidung in der Wissenschaft.
Gott als Nutzenfaktor
Hilft uns das für unser Thema weiter? Gott ist kein Naturgesetz und keine Theorie. Dann also doch bloß erfunden im landläufigen Sinn des Wortes? Dieser Meinung ist die klassische Religionskritik. Für sie ist Gott eine vom Menschen erdachte Konstruktion, um die Jämmerlichkeit unseres Daseins, seine Begrenzungen und Unsicherheiten und vor allem das unabänderliche Faktum des Todes besser auszuhalten. Er ist erfunden im oben genannten, negativen Sinn: schön erdacht, aber ohne Sitz in der Wirklichkeit, wie zumindest die Aufgeklärten unter uns wissen. Der Grundfehler solcher Kritik ist, dass sie Gott auf eine Funktion reduziert, ihn bloß als Nutzenfaktor begreift, und das führt an seinem Wesen vorbei. Dass viele Gläubige in ihrer religiösen Praxis ähnlich denken, macht den religionskritischen Angriff natürlich umso leichter.
Ein zweites Feld ist die evolutionsbiologische Kritik. Hier wird gefragt, warum Religion eigentlich ein so unausrottbares Phänomen darstellt, wenn sich ihre Unhaltbarkeit doch so leicht erweisen lässt. Die Menschen lassen sich ihren Glauben ja einiges kosten, und diesen Aufwand hätte die natürliche Selektion längst ausgemerzt, wenn er nur überflüssiger Luxus wäre. Was ist es also, das die Gottesidee zu einer, wie es so schön heißt, „evolutionsstabilen Strategie“ macht? Es ist, so die Antwort, ihr Normen erhaltender Wert für den sozialen Zusammenhalt einer Gruppe.
Offensichtlicher Betrug
Klar, wenn man die aufgestellten Regeln für ein einträchtiges Zusammenleben mit dem Hinweis auf eine kontrollierende überirdische Instanz sanktionieren kann, hat man als Anführer ein leichteres Spiel mit der eigenen Horde. Ihre dadurch erreichbare Geschlossenheit macht sie effektiver im Ressourcen-Kampf mit anderen Gruppen, denen ein solch einendes Band abgeht. Das wussten Staatslenker zu allen Zeiten und haben sich der Religion entsprechend bedient. Schade, könnte mancher Politiker stöhnen, dass das heute nicht mehr funktioniert. Warum? Weil der Betrug dahinter zu offensichtlich ist. Die Strategie klappt ja nur, wenn der, der sie einsetzt, seine Untergebenen in dem irrigen Glauben halten kann, die sanktionierende Instanz, Gott genannt, gäbe es tatsächlich.
Religion ist hier nicht mehr nur tröstender Selbstbetrug, sondern absichtlicher Fremdbetrug durch eine besondere Klasse von Besserwissenden! „Gildenbildung“ nennt der Evolutionspsychologe Pascal Boyer diese Abspaltung eingeweihter Religionsstrategen vom übrigen Volk und bewertet sie als Phase des beginnenden Untergangs einer etablierten Religion. Allzu lange werden sich nämlich die Schafe die Gängelung durch die auf ihre Sonderstellung bedachte Hirten nicht gefallen lassen, sondern, wie schon im biblischen Gleichnis, die Flucht davor ergreifen und auf eigene Faust eine neue Herde gründen. Solche Klerikalismus-Kritik kann angesichts der Situation heutiger Großkirchen durchaus mit Zustimmung rechnen; nur, Hand aufs Herz, was erklärt sie eigentlich für unser Thema? Doch eher, wozu man die Gottesidee missbrauchen kann, als wie sie zustande kommt.