München – „Verflucht der Tag, an dem ich geboren wurde“ (Jer 20,14). „Warum denn kam ich hervor aus dem Mutterschoß? Nur, um Mühsal und Kummer zu erleben und meine Tage in Schande zu beenden?“ (Jer 20,18) Das sind keine Sätze, die man von einem Propheten, einem von Gott bevollmächtigten Boten, erwartet. Und gleichzeitig denkt man als moderner Mensch in der aktuell herausfordernden Zeit: Jeremia, ich fühle, wie es dir geht. Ein intimer Einblick in das Gefühlsleben eines Propheten, das macht das Buch Jeremia zu etwas ganz Besonderem.
Schon die Erzählung seiner Berufung durchbricht die Leseerwartung. Am Beginn stehen große Worte, bereits vor seiner Geburt hat Gott Jeremia als Propheten erwählt. Und was antwortet er? „Ach, Herr und GOTT, ich kann doch nicht reden, ich bin ja noch so jung.“ (Jer 1,6) Mit seinem Zögern ist der Prophet nicht allein, der „Einwand des Berufnen“ gehört zu einem festen Schema, wie in der Bibel Berufungen erzählt werden. Zum Beispiel reagiert auch Mose auf den Auftrag Gottes zweifelnd: „Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehen und die Israeliten aus Ägypten herausführen könnte?“ (Ex 3,11).
Gott ist an seiner Seite
Die Feststellung, aus eigener Kraft nicht bereit für das Amt zu sein, dient als Sprungbrett für die entscheidende Botschaft. „Denn ich bin mit dir“ (Jer 1,8), antwortet Gott auf Jeremias Selbstzweifel. Was den Propheten für seine schwierige Aufgabe befähigt, ist vor allem anderen, dass er weiß, dass Gott an seiner Seite ist.
Berufung ist immer noch eine zentrale Kategorie in der Kirche. Man spricht von Priester- und Ordens-Berufungen, aber auch von der Berufung jedes Christen zur Heiligkeit. Auch ein Beruf ist oft eine gelebte Berufung. Die Jeremia-Geschichte macht deutlich, wie Berufung auf eine gute Weise verstanden werden kann. Sie bedeutet nicht, dass jemand perfekt in etwas ist und so unersetzlich und unantastbar wird. Ein solches Verständnis begünstigt die Überhöhung der eigenen Person und führt zu Machtmissbrauch. Im Gegenteil weiß die/der Berufene um die eigenen Schwächen, traut sich die Aufgabe aber zu, weil Gott sie mitträgt.