Fulda – Nach den Worten von Kardinal Reinhard Marx steht die katholische Kirche angesichts des Missbrauchsskandals an einem Wendepunkt. Es gehe um den Umgang mit den Opfern, aber auch um die Zukunft und die Strukturen der Kirche, sagte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz am Montag in Fulda zum Auftakt der Herbstvollversammlung der Bischöfe.
Eindringlich rief Marx die deutschen Bischöfe zu einem gemeinsamen und konsequenten Vorgehen als Antwort auf die Studie über sexuellen Missbrauch durch Geistliche auf: "Hier geht es nicht um Stimmung und persönliche Befindlichkeiten, es geht um die Opfer und um die Zukunft der Kirche", betonte der Kardinal: "Die Menschen glauben uns nicht mehr. Wir müssen handeln und dann hoffen, dass man uns wieder vertraut."
Umgang mit Macht
Die wissenschaftliche Untersuchung zum Missbrauch zeige, so Marx weiter: "Wir müssen viel weiter gehen: hinhören, verstehen, Konsequenzen ziehen". Dabei gehe es insbesondere um Fragen der "systemischen Gefährdung", etwa um den Umgang mit Macht in der Kirche. Auch müsse man noch genauer hinschauen, wer wofür verantworltich war und ist, ergänzte der Kardinal.
Der Münchner Erzbischof vermutet, dass es nach der Studie weiteren Forschungsbedarf geben wird, vor allem auf Ebene der Bistümer. Es sei auch klar, dass nicht alle Missbrauchfälle in den Akten vermerkt seien. Er warnte aber vor Spekulationen über das Ausmaß des Dunkelfeldes. Der Konferenzvorsitzende betonte zugleich, es gebe seit 2010 eine wachsende Kultur der Wachsamkeit gegenüber Missbrauch. Die Kirche habe viele wichtige Schritte getan, insbesondere im Bereich der Prävention. Das sei aber nicht überall gleichermaßen umgesetzt worden.
"Staat ist gefragt"
Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, forderte eine stärkere Rolle des Staates in der Aufarbeitung kirchlicher Missbrauchsfälle. "Gerade weil Staat und Kirche Partner sind, ist hier auch der Staat gefragt", sagte er der "Süddeutschen Zeitung" (Montag). Er trage Verantwortung auch für die Kinder, "die sich in Obhut der Kirche befinden".
Dazu forderte Rörig von der Bundesregierung entsprechende Verträge zwischen Bund, Ländern und Kirchen. Sie sollten ein Recht auf Akteneinsicht für Betroffene schaffen, Ermittlungs- und Zugangsbefugnisse sowie Ansprüche auf Entschädigung regeln. Dem Staat könne "nicht an einer Kirche gelegen sein, die jede Glaubwürdigkeit verliert". Viele Kirchenvertreter spürten, dass es so nicht weitergehe.
Frauen fordern Reformen
Auch die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd) betonte, tiefgreifende Reformen seien unvermeidlich. Es müsse endlich deutlich werden, dass die katholische Kirche veränderungswillig sei, sagte die Bundesvorsitzende Mechthild Heil. Zentrale Schritte seien eine strukturelle Erneuerung, die deutlich mehr Frauen den Zugang zu Leitungsfunktionen ermögliche. Nicht zuletzt müsse die Bischofskonferenz endlich den konstruktiven Austausch zu Themen wie Aus- und Weiterbildung von Priestern, Ämter von Frauen in der Kirche und zeitgemäße Sexualethik verstärken. (kna)