Vor 30 Jahren war das noch anders: wenn damals der Papst nach Südamerika kam, dann bereiste er einen durch und durch katholischen Kontinent. In dieser Woche fährt Papst Franziskus nach Chile und Peru. Und er kommt keineswegs in unerschüttert katholische Länder. „Der Papst wird eine Kirche in der Krise antreffen“, sagt der Kardinalerzbischof von Santiago de Chile, Ricardo Ezzati. Und er fügt etwas hinzu, was mich aufhorchen lässt und beschäftigt. Diese Krise sei ein Segen. Das ist doch bemerkenswert, wenn ein Kirchenführer so spricht: Krise ist ein Segen. Krise wird ja landläufig als Zerrüttung und Zeichen des Niedergangs begriffen.
Krise ist nicht Niedergang
Das ursprüngliche griechische Wort bedeutet aber etwas Anderes: Man müsste es mit Unterscheidung, gedanklicher Trennung und Entscheidung übersetzen. Und tatsächlich steht die Kirche weltweit in einer solchen Krise. Sie kann sich nicht mehr auf alte Gewissheiten und Gewohnheiten verlassen, muss neu unter- und entscheiden.
Etwa wenn sie dem Kaiser gibt, was dem Kaiser gehört, aber vergisst, was sie Gott schuldig ist. Gerade in der jüngeren Geschichte Südamerikas haben sich katholische Bischöfe oft hervorragend mit dem Establishment verstanden, sogar die Mordtaten skrupelloser Militärregimesgerechtfertigt. Genauso gab es Priester, die sich linken Guerilla-Gruppen anschlossen und an einer Spirale der Gewalt mitwirkten.
Und die Menschen nehmen eine nüchterne, faktenorientierte Naturwissenschaft auf, die am Himmel keinen Gott mehr findet und das Glaubensbekenntnis nicht verstehen kann.
Immer mehr Menschen, auch in Südamerika, würden sich deswegen als Agnostiker bezeichnen, so Kardinal Ezzati. Als Menschen, die über Gott nichts sagen und sich deshalb auch nicht für ihn entscheiden wollen.
Da ist die Kirche tatsächlich gezwungen, redlich zu unterscheiden, ihre großen Traditionen von überflüssigem Ballast zu befreien. Sie muss erklären und eine neue, verständliche und dennoch traditionsverbundene Sprache finden. Ja, das ist Krise und sie ist ein Segen, weil sie die Kirche voran und wieder zu den Menschen bringt.
Angstfreie Theologie Eugen Bisers
Beim Unterscheiden, Trennen und Entscheiden helfengroße Theologen. An einen davon ist am vergangenen Wochenende erinnert worden. An Eugen Biser, der in diesem Januar seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte. Er hat sich ein ganzes langes Leben lang mit der Krise des Glaubens auseinandergesetzt. Die großen Religionskritiker hat er dabei nicht als Feinde und furchtsam gemieden gesehen. Sie waren waren ihm Dialogpartner, um das eigene Bekenntnis besser zu durchdenken und standfester zu formulieren. Biser hat eine Theologie gegen die Angst vor dem Anderen entwickelt, so hat es Kardinal Marx in seiner Würdigung für den Münchner Theologen ausgedrückt. Wer sie überwindet, kann das Eigene besser verstehen und weitergeben.Das Evangelium in dieser Zeit zu deuten und in die Welt zu bringen: Das ist die große Krise, das Entscheidungsmoment, vor dem die Kirche heute steht. Papst Franziskus wird das in dieser Woche in Chile und Peru angehen. Das ist aber nicht nur ein Auftrag für die Kirchenspitzen, sondern für jeden gläubigen Katholiken. Auch daran hat Eugen Biser immer wieder erinnert und dazu ermutigt. Die Krise zu beklagen, würde nur bedeuten, Chancen zu verpassen. Nein, sie ist ein Segen und wer das ausspricht, dem ist dafür nur zu danken.