München/Rom – Für Thomas Mohr kam die Frage seiner beiden Freunde genau zur rechten Zeit: Ob er denn nicht auch mit Lamas zum Papst pilgern wolle? Der 53-jährige hatte gerade mehrere Zyklen einer Krebsbehandlung hinter sich, die Tumoraktivität konnte unterbunden werden und er wollte wieder auf die Beine kommen. Seine Frau wusste, dass er einfach mal raus musste und seine Tochter war total begeistert, weil Papa in ein Abenteuer starten wollte – noch dazu mit ihren erklärten Lieblingstieren. Aber erst, nachdem sein ehemaliger Sozius, der inzwischen in den Ruhestand gegangen war, sich bereit erklärt hatte, ihn in der Kanzlei zu vertreten, hat er zugesagt.
Als es losging, war ihm allerdings schon etwas mulmig. Die beiden anderen waren total fit, er hingegen war von seiner Krankheit geschwächt und hatte in den letzten Jahren auch nicht mehr viel Sport getrieben. Lustig fand er, dass auch das ihm zugewiesene Lama „Tiento“ der schwerste von den drei Hengsten war. Die beiden wurden zu einem richtig guten Team. Keine Blasen an den Füßen des Menschen und auch das Lama meisterte den Weg problemlos. “Wenn ich morgens zur Weide kam und ihn gerufen habe, kam er gleich, während wir die anderen Tiere erstmal fangen mussten.“
Wie vom Donner gerührt
Unterwegs hat die Gruppe oft eine regelrechte „Lamamania“ ausgelöst, wie Thomas Mohr es nennt: Viele Menschen kamen, wollten die Tiere streicheln und Fotos machen. „Bis dahin war unsere Unternehmung eher eine Lama-Trekking-Tour als eine Pilgerreise,“ schmunzelt der Rechtsanwalt. Doch das änderte sich, als ihn eine Frau ansprach, die am Ende eines Dorfes auf die Gruppe gewartet hatte. Sie erzählte ihm, dass ihr Mann an Krebs erkrankt sei und die Ärzte ihn aufgegeben hätten. „Sie fragte, ob wir tatsächlich ernsthafte Pilger seien und ob sie uns bitten dürfe, beim Papst für sie zu beten und im Petersdom eine Kerze anzuzünden.“ Mohr war wie vom Donner gerührt. Denn er hatte während der ganzen Reise noch nicht über seine eigene Situation nachgedacht. Er wusste, dass seine Krankheit unheilbar ist, dass er irgendwann einmal daran sterben wird. Aber auch, dass er noch Jahre, wahrscheinlich sogar Jahrzehnte damit leben kann. „Nach der ersten OP hatte ich mir gesagt: Jetzt erst recht. Ich will nicht bedauert werden, sondern die Zeit, die ich noch habe, aktiv gestalten.“ Also hatte er viel gearbeitet. Zu viel, wie er heute weiß.
Gott zulassen
Ein weiterer Schritt zum echten Pilger war ein Gespräch mit dem Prior eines Klosters, in dem er und seine Freunde übernachtet hatten. Der hatte gesagt: „Fragen und Zweifel sind der Anfang der Erkenntnis, Sie werden ihren Weg schon noch finden! Gott lenkt sie, wenn Sie es zulassen."
Und Mohr hat es zugelassen. Beim Anblick einer Landschaft kam ihm Dantes „Göttliche Komödie“ in den Sinn, mit Himmel, Hölle und Fegefeuer. Das Wort „Hoffnung“ wurde wichtig. Worauf sollte er hoffen? Je mehr er nachdachte, desto mehr hat er verstanden, „dass es für mich nur eine Hoffnung gibt, nämlich die auf unser eigentliches Leben, unser eigentliches Ziel. Und das zeigt sich erst, wenn wir über den Grat hinaussteigen in eine andere Dimension.“
Ein unermessliches Geschenk
Das war die Erkenntnis, die ihn frei gemacht hat: „Ich kann mein jetziges Leben als großzügiges, unermessliches Geschenk leben, ohne in der Bindung an dieses Leben verfangen zu sein.“
Die Frau aus dem Dorf hat er nicht vergessen: Als die drei Männer mit ihren Lamas in Rom angekommen waren und tatsächlich mit dem Papst sprechen durften, hat der Pilger sein Gelübde erfüllt und von der Frau erzählt. „Franziskus war etwas verwirrt, hat aber verstanden, dass mir das Anliegen sehr wichtig war“.
Ein langes Interview mit Thomas Mohr können Sie in unserer Sendung Hauptsache Mensch hören. Die Sendung können Sie auch über die Streamingdienste Spotify, i-tunes und Deezer als Podcast abbonnieren.