Auf den ersten Blick klingt es nach einem Paradoxon wie ein eckiger Kreis oder ein schwarzer Schimmel: Kann es so was wie eine evolutionäre Schöpfung überhaupt geben? Können allgemein verbindliche Naturgesetze und persönlicher christlicher Glaube zusammen gedacht werden – und wenn ja, was folgt daraus?
Es sollte keiner Diskussion mehr wert sein, dass diese Welt, ja das ganze Universum und auch wir selbst, aus einem noch immer andauernden dynamischen Entwicklungsprozess hervorgegangen sind, den man als Kosmogenese oder Evolution bezeichnet. Die Tatsache, dass in diesem Prozess auf naturgesetzlicher Basis immer wieder etwas prinzipiell Neues (wie Leben an sich oder mein eigenes Selbstbewusstsein) auftritt (sogenannte Emergenz), lässt sich gut mit der theologischen Annahme einer „Creatio continua“ (andauernde Schöpfung) verbinden. Und mit Johannes (Joh 1,1–6) darf man glauben, dass der Schöpfergott diese ganze Welt tatsächlich durchdringt und darüber hinaus existiert (sogenannter Panentheismus).
Die Welt und wir sind frei
Umstritten ist aber bis heute die Frage, ob dieser Prozess detailliert geplant war (wie das kirchliche Lehramt nach wie vor annimmt) oder eben nicht (wie es Quantenphysik, stochastische Chemie und Evolutionstheorie seit mehr als 120 Jahren belegt haben). Auch dafür gibt es aus meiner Perspektive für gläubige Menschen einen Zugang: Schon das Alte Testament kennt das Liebesgebot, und Jesus selbst hat es nochmal als höchstes aller Gebote bestätigt (Mt 22,37–40): Du sollst den Herrn, deinen Gott lieben … und deinen Nächsten wie dich selbst. Nun, wahrhaft lieben kann nur ein freier Mensch, wir sind also freiwillige Wesen. Ein freier Wille braucht allerdings auch eine freie Welt, sonst erginge es uns wie König Ödipus, dessen grausames Orakel (den Vater zu ermorden und mit der Mutter zu schlafen) all seine Bemühungen zunichtemacht, seinem vorbestimmten Schicksal zu entgehen. Damit fordert aber gerade das oberste aller Gebote eine freie, nicht vorherbestimmte Welt, und wir können alles Gerede über unentrinnbare Schicksale, Prophezeiungen oder Vorbestimmungen getrost vergessen.
Das heißt im Klartext: Die Welt und wir sind tatsächlich frei, ein direkt eingreifender „Deus ex machina“ ist nicht anzunehmen – wohl aber freie Menschen, die nach Seinem Willen handeln. Wenn dem aber so ist, dann sind wir als Kinder Gottes tatsächlich auch Seine Erben, wie schon Paulus (Röm 8,17) sagt, mit Verantwortung für alles Geschaffene. Die volkstümliche Aussage, „Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott“, hat eine tragfähige biblische wie naturwissenschaftliche Grundlage, die Antithese „der Herrgott wird’s schon richten“ hingegen nicht.