München – Neue Dauergäste empfängt die Zoologische Staatssammlung in München in der Regel frostig. Wenn Sammler ihre Schmetterlinge oder Käfer aus aller Welt an die Institution schenken, kommen die Kästen zuerst einmal tagelang in eine Kühlkammer in der minus 30 Grad herrschen und in die Kohlendioxid eingeleitet wird. Dann verbringen sie 14 Tage in Quarantäne und die Prozedur wird wiederholt. „Wir nennen das die Methode Doppelhammer, um verborgene Larven abzutöten, die uns sonst diese Stücke auffressen“, erklärt Gerhard Haszprunar. Die will der aus Wien stammende Professor für Systematische Zoologie an der Münchner Universität für kommende Generationen bewahren.
Mücken und Grizzlybären
In Personalunion ist er auch Generaldirektor der Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen Bayerns (SNSB) und gleichzeitig Direktor der Zoologischen Staatssammlung. „Dort haben wir ungefähr 25 Millionen Sammlungseinheiten vom Gurkenglas mit 500 Exemplaren einer exotischen Mückenart bis zum Grizzlybären.“ Haszprunar ist verantwortlich für eine der größten naturkundlichen Sammlungen der Welt, deren Anfänge bis ins 18. Jahrhundert zurückreichen. Es ist ein kostbarer Schatz, der ständig an Bedeutung gewinnt, weil er Auskunft über die Vielfalt und Lebensbedingungen zahlreicher Arten und ihr Genmaterial gibt. Das Herbar, also die botanischen Objekte, suchen vor allem südamerikanische Forscher gerne auf. Dort lagern tausende von getrockneten Pflanzen aus der Amazonasregion oder der Atacamawüste, von denen heute viele bedroht sind. Sie könnten bisher unbekannte medizinische Wirkstoffe enthalten oder Gene, sodass die ebenfalls aufbewahrten Samen einmal für Neuzüchtungen wichtig werden können.
Gen- und Artenpool für die Menschheit
Die bayerischen Entdecker Johann Baptist von Spix und Carl Friedrich Philipp von Martius haben diesen Teil der Sammlung von 1817 bis 1820 zusammengetragen, zu der auch Vögel, Affen und Fledermäuse, Schildkröten und Amphibien, aber auch Orchideen oder Palmen gehören. „Erwerben, erhalten, erfassen und erforschen“, so beschreibt die Internetseite der SNSB die Aufgabe ihrer Einrichtungen. „Zuallererst betreiben wir natürlich Grundlagenforschung“, erklärt Haszprunar. Aus der ergeben sich aber beim Artenschutz oft praktische Erkenntnisse. „Wir haben uns zum Beispiel in einem Projekt gefragt, ob Biolandwirtschaft tatsächlich für mehr Artenvielfalt sorgt; das ist ja zunächst einmal nur eine Behauptung.“ Die entsprechende Studie habe ergeben, dass ökologisch bewirtschaftete Flächen tatsächlich einen dreimal so hohen Insektenbestand aufweisen wie konventionelle. „Natürlich kann man fragen, wer braucht diese Viecherl denn schon.“ Der Professor verweist dann auf die Blütenbestäubung, aber Insekten sind auch unentbehrliche natürliche Müllentsorger, die abgestorbene Pflanzen und Tiere wieder in den Nährstoffkreislauf zurückführen.
Alarm auf der Wiese
Als Naturwissenschaftler ist Haszprunar alarmiert, weil das Insektenaufkommen in den vergangenen drei Jahrzehnten allein in Deutschland um 75 Prozent zurückgegangen ist. Es herrscht Alarm, auf der Wiese, im wald und auf dem Feld. Das Artensterben betrifft nicht allein Insekten und es geht immer mit dem Verlust neuen Wissens einher: „Es gab einen Frosch in Australien, dessen Hormonphysiologie geeignet gewesen wäre, ein neues Mittel gegen Gastritis zu entwickeln“, bedauert Haszprunar, „aber den gibt´s jetzt nicht mehr.“ Der 63jährige Vater von drei erwachsenen Kindern hat aber nicht allein den potentiellen Nutzen vieler Arten im Blick. „Wir haben gesellschaftspolitisch akzeptiert, dass es richtig und notwendig ist, altes Kulturgut zu bewahren, das gleiche gilt für das, was in Jahrmillionen durch die Evolution als Schöpfung entstanden ist.“ Als engagierter Katholik formuliert Haszprunar es kurz und knapp so: „Bei diesem Schutzauftrag geht es letztlich um den Respekt gegenüber dem Schöpfer.“