München – Drei Schauspieler ziehen an langen weißen Seilen ein Floß durch den Mittelgang des Münchner Liebfrauendoms. „Soll ich loslassen?“, ruft wiederholt einer nach dem anderen. Dann fällt eine Schauspielerin zu Boden – und mit ihr die beiden Darsteller auf dem Floß. Diese Performance des Berliner Theaters Anu eröffnet den diesjährigen Aschermittwoch der Künstler. Sie nimmt Bezug auf Théodore Géricaults Gemälde „Das Floß der Medusa“, das auf der Titelseite des Liedblattes abgebildet ist. Es zeigt ein Schiffsunglück aus dem Jahr 1816, das nur 15 Menschen überleben, weil die Rettungsboote die Seile zu einem notdürftig aus den Schiffsmasten gezimmerten Floß mit 150 Menschen an Bord kappen. Das Bild hängt heute im Louvre und hat die französische Identität mitgeformt.
Grenzen überwinden
Wie die Seile der Akteure durchziehen die Themen Identität, Flucht und Grenzen den anschließenden Gottesdienst mit Kardinal Reinhard Marx. So spricht eine Schauspielerin zum Kyrie mit zwei Seil-Enden in den Händen: „Du nimmst dich aller an, die ausgegrenzt werden“ und „Du hilfst uns, Grenzen zu überwinden“. Und bei den Fürbitten erinnert die Schauspielerin, die sich mit einem Segel in der Hand auf einem Seil dem Altar nähert, an „alle, die in ihrem Leben an Grenzen stoßen und nicht mehr weiterwissen“, an „alle, die auf der Flucht sind und an unüberwindlichen Grenzen zu verzweifeln drohen“, aber auch an „alle Künstlerinnen und Künstler, die mit ihrem Schaffen Grenzen überwinden“.
Kardinal Marx knüpft in seiner Predigt daran an. „Als Christen zu Beginn der österlichen Bußzeit wissen wir, wir finden unsere Identität nicht vorbei an der Person Jesu von Nazareth, dem Bild des unsichtbaren Gottes. Der Weg in der österlichen Bußzeit soll uns helfen, das Bild, das Gott von Anfang an von uns hat, wiederzugewinnen, die Gottebenbildlichkeit, die jedem Menschen geschenkt ist, neu zu entdecken.“ Der Ritus der Bilderverhüllung helfe dabei, neu sehen zu lernen, wer Jesus sei.