Die Sonne scheint. Viele sind es nicht, die Demonstranten sitzen auf Yogamatten und jemand spielt Gitarre. Von außen ist es gar nicht so einfach zu erkennen, dass es eine Demonstration ist, wäre da nicht eine Handvoll Polizisten, die am Rand stehen und immer mal wieder mit den Teilnehmern sprechen. Es wirkt wie ein entspannter Einsatz, aber locker und lässig sind die Beamten nicht. Trotz der frühlingshaften Temperaturen tragen sie Handschuhe, gelacht wird wenig.
Für die Beamten sei die Angst um beziehungsweise vor Corona nicht so zentral, sagt Müller-Cyran, aber es sei noch eine Last mehr auf dem Rücken der Frauen und Männer in Uniform. Sie müssen sowieso ganz schön viel aushalten. Der promovierte Psychologe erklärt, dass sich für Einsatzkräfte der Rahmen des Alltäglichen verschiebt. Kurz gefasst geht es dabei um die Erfahrung, was Alltag bedeutet und was außergewöhnlich ist. Ein Polizist sieht jeden Tag so viele Dinge, die die meisten anderen Menschen nie erleben, dadurch kann für ihn Gewalt oder Todesangst etwas Normales werden. „Wir sind es gewöhnt, dass wir jeden Tag auf dem Fahrrad nach Hause fahren und dort ankommen. Rettungskräfte sind sich im Gegensatz zu Otto-Normal-Verbraucher viel bewusster, dass das nicht immer gut geht.“
Gleich wieder auf die Straße
Die Beamten auf dem Marienplatz wollen keine Fotos von sich machen lassen – auch nicht, wenn sie nicht zu erkennen sind. Es ist ihnen anzumerken, dass sie sich in dieser ungewohnten, neuen Situation nicht wohl fühlen, auch wenn sie freundlich sind und immer mit einem Lächeln antworten. Vor allen Dingen aber formulieren sie die Antwort auf die Frage nach Fotos als Bitte, nicht als Verbot. Das ist weniger der rechtlichen Lage geschuldet, sondern mehr einer Einstellung. Der Mann mit dem Zopf spricht eine Beamtin an, viel Sympathie scheint er ihr nicht entgegen zu bringen, aber er ist freundlich. Die junge Polizistin auch. Routine-Einsatz.
Gerade beim Thema Routine habe sich durch Corona etwas getan, sagt Müller-Cyran. Routine ist nämlich plötzlich nicht mehr so normal. Das soll nicht heißen, dass die Frauen und Männer jeden Tag mit Angst auf die Straße gehen, aber die Anspannung ist natürlich größer geworden. Erst kürzlich hatte Müller-Cyran Kontakt zu einem jungen Polizisten, der bei einem Einsatz einen alkoholisierten Mann am Hauptbahnhof versorgen musste. Routine eigentlich, aber dann wird der Betrunkene positiv auf COVID 19 getestet. Der Polizist muss zwei Wochen in Quarantäne, seine Lebenspartnerin auch. Zum Glück fallen die Tests bei ihm und seiner Partnerin negativ aus. Jetzt ist er wieder im Dienst, wieder mit Routine-Einsätzen. Und jedes Mal hat dieser Beamte nun im Kopf, dass ein neuer Kontakt und damit Quarantäne oder womöglich sogar eine Ansteckung droht.
Neue Herausforderungen im Job
„Polizisten haben mit dem Bösen zu tun“, sagt der 57-Jährige und korrigiert sich dann schnell: „Sie sehen die dunklen Seiten des Menschen“. Häusliche Gewalt, Morde, Raub, Körperverletzungen. „Im Tatort“, sagt Müller-Cyran, wendet kurz den Blick ab und schaut aus dem Fenster, „sind es immer die anderen.“ Das Böse werde über die Menschen drüber gestülpt, dabei sei es in uns allen drin. Polizisten werden dafür ausgebildet mit dieser Realität zurecht zu kommen, aber auch die beste Ausbildung kann einem nicht auf darauf vorbereiten, was sie an Leid und Gewalt sehen und erleben müssen. Die Corona-Pandemie bringt aber noch eine ganz andere Qualität in den heraus- und oft auch überfordernden Job: Polizisten lernen wie sie sich vor Fäusten, Messern oder gar Schusswaffen schützen können. Das allein ist immer noch gefährlich genug, aber vor einer Tröpfcheninfektion kann man sich im Einsatz wohl kaum retten. Denn Polizisten werden angespuckt. Dafür kann man nicht trainieren, da kann man nur das Protokoll einhalten und sich testen lassen. Routine eben.