Wenn Thomas Brei seine Schutzkleidung ablegt, dann kommt sie grundsätzlich nicht in den Verbrennungsmüll, sondern in den Kochwaschgang. „Einweg-Schutzmasken und -anzüge sind für uns unerreichbar“, erzählt der 49-jährige Arzt und Pfarrer aus dem Erzbistum München und Freising. Seit 2011 arbeitet er am Saint Clare´s Hospital im tansanischen Mwanza am Victoriasee. Dort leitet er das sich ständig erweiternde Krankenhaus mit rund 75 Betten und ebenso vielen Mitarbeitern.
Bis Anfang Juni ist das Corona-Virus noch nicht bis dorthin vorgedrungen. „Wir fürchten schon seit Wochen, dass es uns erreicht und sind froh, dass wir bisher verschont geblieben sind.“ Seine Mitarbeiter und er erhöhen so gut es geht laufend die Lagerbestände an Desinfektionsmitteln und anderem Hygienematerial, achten auf Abstand und häufiges Händewaschen.
Unterschied von Stadt und Land
Bisher sind nur Fälle in den Großstädten Daressalam und Aruscha bekannt, in denen sich die Bevölkerung zusammenballt. In Daressalam leben fast so viele Bewohner wie in Berlin und München zusammen, etwa 5,4 Millionen Menschen. Dort habe es offiziell an die 40 Coronatote gegeben, erzählt Pfarrer Brei: „Aber die Zahlen sind Makulatur, weil nur wenig getestet worden ist. Zudem veröffentlichen die tansanischen Behörden seit Ende April überhaupt keine Corona-Statistiken mehr, berichten Nichtregierungsorganisationen. Staatspräsident John Magufuli habe die Testergebnisse infrage gestellt und von Sabotage gesprochen. Zum einen spielte er die Gefahr durch die Pandemie herunter, zum anderen soll er sich selbst auf seinen Landsitz zurückgezogen und streng isoliert haben.
Dass die Seuche bisher nicht den ländlichen Lake District am Victoriasee erreicht hat, führt Thomas Brei zum einen auf die weiten Entfernungen und zum anderen auf die relativ dünne Besiedlung der Region zurück. Und bisher hat das Coronavirus das Land wohl tatsächlich nicht so stark getroffen, vermutet der Arzt. „Das könnte daran liegen, dass die Menschen bei uns in Tansania sehr jung sind.“ Das Durchschnittsalter liegt bei 18 Jahren, die Hälfte der Bevölkerung besteht aus Kindern und Jugendlichen.
Schlechte medizinische Versorgung
Er könne da aber nur von seinen persönlichen Eindrücken sprechen, ergänzt Thomas Brei, denn er sei kein Virologe. Das Saint Clare Krankenhaus in Mwanza ist auf Chirurgie und Unfallmedizin ausgerichtet, daneben gibt es eine Augen- und eine Zahnklinik. „Wir hätten gar keine Möglichkeit Isolierpatienten zu behandeln, schon gar nicht intensivmedizinisch.“ Das sei aber im gesamten Land schwierig. Beatmungsgeräte stehen, wenn überhaupt, nur im Operationssaal.
Zudem fehlt das Fachpersonal: „Es gibt im ganzen Land vielleicht ein paar dutzend Anästhesisten.“ Patienten mit schweren Verläufen von Covid 19, „haben keine Chance, wir können das dann nur in Gottes Hand legen“. Sollte das Virus das Saint Clare Krankenhaus erreichen, „können wir nichts anbieten“. Immerhin wird in Mwanza ein gerade im Bau befindliches Distrikt-Krankenhaus als Isolations- und Infektionsklinik eingerichtet. „Bisher ist wenigstens der Corona-Kelch an diesem armen und chaotischen Land vorbeigegangen.“ erläutert Pfarrer Brei.
Arbeitslosigkeit und Hunger
Tansania kämpfe dauerhaft mit ganz anderen Problemen als der neuartigen Pandemie. Viele Kinder seien mangelernährt, große Teile der Bevölkerung nicht krankenversichert. „Und wer es ist, bekommt Operationen oft nicht bezahlt, weil das System unterfinanziert ist.“ Am Victoriasee springt dann die Saint Clare Klinik ein, die auch durch Spenden vom Hilfswerk missio aus München unterhalten wird. Die Patienten reisen aus 300 bis 400 Kilometer Entfernung in überfüllten Bussen oder auf Mopeds an, um eine Behandlung zu bekommen.
Oft sind es Menschen, die ohne jede öffentliche Unterstützung oft nur von Tag zu Tag leben können. Und Arbeitslosigkeit bedeutet in Tansania wirkliches Elend. „Natürlich gibt es Not auch in Deutschland, aber hier bei uns fehlt jedes soziale Netz seitens des Staates“, erklärt Thomas Brei. „Die Menschen am Victoriasee können es gar nicht begreifen, dass ein Amt zuverlässig Geld zahlt, wenn jemand seinen Job verliert.“