Oberammergau – "Ich habe den schönsten Ausbildungsplatz der Welt“, sagt Karolina Frank. Seit September vergangenen Jahres lässt sich die 17-Jährige an der staatlichen Berufsfachschule für Holzbildhauer in Oberammergau (Dekanat Rottenbuch) zum „Herrgottsschnitzer“ ausbilden – die traditionelle Bezeichnung für einen berufsmäßigen Holzbildhauer, der vorwiegend Arbeiten mit christlich-religiösen Motiven anfertigt. Das Jugendstil-Schulgebäude hat große helle Klassenräume mit einem traumhaften Blick auf den Kofel, Oberammergaus Hausberg.
Drei Jahre in der Lehre
Karolina lebt mit ihren Eltern, die einen Gasthof betreiben, und vier älteren Geschwistern in Oberammergau. Sie ist die einzige aus der Familie, die einen künstlerischen Beruf gewählt hat. Schon immer war Karolina begeistert von geschnitzten Kreuzen und Figuren. Als sie vor einiger Zeit ihr Zeichnen-Talent entdeckte, war ihr Berufswunsch klar und sie bewarb sich an der Schule. „Ich sehe mich nicht als Künstler, sondern als Handwerker“, betont Karolina. Obwohl das nicht so ganz stimmt, wenn man durch ihr Skizzenbuch blättert. Präzise Zeichnungen von Tierköpfen, Insekten und Aktbildern befinden sich darin. Jede Woche müssen die Schüler einen neuen Bleistiftentwurf anfertigen, der dann benotet wird. „In der Holzbildhauerschule werden wir 15 Schüler meines Jahrgangs in vielen Fächern unterrichtet, aber auch individuell gefördert“, erklärt Karolina. Fotografie steht ebenso auf dem Lehrplan wie Kunstgeschichte oder Modellieren mit Gips. Nach der dreijährigen Lehre kann man sich weiter ausbilden lassen. Das hat Karolina auch vor, denn sie möchte Restauratorin zu werden.
Ein lebensgroßes Gipsmodell steht auf ihrem Arbeitsplatz. Es ist eine Abbildung der Büste einer Freundin, die wiederum sie modelliert hat. Die Modelle dienen als Vorbild für die eigentliche Arbeit, die noch ansteht. Aus einem Stück Lindenholz soll der Kopf geschnitzt werden. Da Linde ein weiches Holz ist, ist es für einen angehenden Bildhauer leichter, das Werk in Angriff zu nehmen. Karolina zeigt ihre neu erworbenen Schnitzeisen: ein 25-teiliges Set mit rasiermesserscharfen Werkzeugen. Zuhause hat sie keinen festen Arbeitsplatz, wo sie das Schnitzen üben könnte. „Aber im Winter habe ich im Saal unseres Gasthofs geschnitzt“, sagt Karolina.
Verwurzelt in Glaube und Familie
Tief verwurzelt ist ihre gesamte Familie im Glauben. Nicht nur der regelmäßige Kirchgang hat Karolina geprägt. „Man ist im Glauben irgendwie nie allein“, erklärt sie und zitiert lachend einen Satz ihres Großvaters, der ganz pragmatisch seine Ansicht über den Glauben zusammenfasst: „Nix gwiss woaß ma net, aber schaden tuats a net.“ Wichtig sind ihr die gemeinsame Verbundenheit im Glauben, die kleinen täglichen Rituale und Gewohnheiten: „Wir beten jeden Mittag vor dem Essen“, erzählt Karolina. Und sie weiß, dass dies nicht mehr so häufig in Familien vorkommt. Sie jedoch genießt es und empfindet es als Halt im Alltag.
Ministrieren und Bergsteigen
Gemeinschaft ist der jungen Schnitzerin sehr wichtig. Daher überrascht es nicht, dass sie sich als Oberministrantin und im Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) engagiert. Ein unvergessliches Erlebnis war es daher für Karolina, als sie im Sommer vergangenen Jahres an der großen Ministrantenwallfahrt nach Rom teilnahm. Als sie vor dem Petersdom all die anderen Kinder und Jugendlichen sah, fühlte sie sich gestärkt. Natürlich hat sie auch Phasen, in denen sie sich kritisch mit ihrem Glauben und der katholischen Kirche auseinandersetzt. Die 17-Jährige findet das ganz normal und wichtig: „Jeder sollte seinen eigenen Weg gehen.“
Auch im Trachtenverein und der Blaskapelle ist sie aktiv und ganz nebenbei betätigt sie sich auch im Winter noch als Skilehrerin. Und natürlich singt sie im kirchlichen Jugendchor, das sei „selbstverständlich“. So wie es auch selbstverständlich ist, dass sie 2020 zum zweiten Mal bei den Oberammergauer Passionsspielen im Chor mitwirkt. „Wenn mir einmal langweilig wäre, würde etwas nicht stimmen“, sagt sie lachend und schaut sehnsüchtig aus dem Fenster, auf die noch verschneiten Berge. Bergwandern bis zum Gipfel hinauf, das bedeutet für Karolina pures Glück. „Es ist ein besonderes Gefühl dort oben“, sinniert sie. In ihren Augen ist das Gipfelkreuz ein Symbol für die Dankbarkeit jedes Bergsteigers, heil oben angekommen zu sein. Und wieder wandert ihr Blick aus dem Fenster der Holzbildhauerschule hinauf zum Gipfel des Kofels. (Regina Wahl-Geiger/flo)