München – Ungefähr 270.000 Menschen in München sind direkt von Armut betroffen oder armutsgefährdet. Das bedeutet, dass quasi jeder sechste Mensch in München unter relativer Armut lebt.“ Die Zahlen, die Barbara Igl präsentiert, lassen aufhorchen. Armut, so fährt die Vorständin des katholischen Verbandes für Mädchen- und Frauensozialarbeit InVia fort, betreffe dabei nicht nur die finanzielle Situation, sondern wirke sich auf das gesamte Leben aus.
Igl ist eine von vielen Experten die im Münchner Salesianum bei der ersten katholischen Armutskonferenz des Diözesan- Caritasverbandes sprechen. Auch prominente Gäste sind mit dabei, unter anderem Kardinal Reinhard Marx und Schauspielerin Uschi Glas. In einer Podiumsdiskussion thematisieren die Teilnehmer die steigende Anzahl der von Armut betroffenen Menschen und wie die katholische Kirche als Gemeinschaft dagegen vorgehen kann.
Bei der Schaffung von Wohnraum für Arme und auch für kirchliche Mitarbeiter "müssen wir uns sehr viel mehr anstrengen", räumte Marx ein. Er wäre froh, wenn es kirchlichen Wohnungseigentümern wie Kirchenstiftungen oder dem Katholischen Siedlungswerk gelänge, einen von der Bistumsleitung beschlossenen Leitwert umzusetzen. Demnach sollen vom Bestand 30 Prozent Sozialwohnungen, 30 Prozent Mitarbeiterwohnungen und nur 40 Prozent auf dem freien Markt vermietet werden
Menschen eine Perspektive geben
Glas gründete 2007 den gemeinnützigen Verein „brotZeit“, der es Grundschulkindern bundesweit ermöglichen soll, vor Unterrichtsbeginn ein Frühstück zu sich zu nehmen. „Viele Kinder beginnen ihren Schultag, ohne zuvor ein Frühstück zu sich genommen zu haben. Die Kinder können sich deshalb nicht konzentrieren, schlafen ein, haben Bauchschmerzen oder fallen sogar in Ohnmacht“, erzählt die 75-Jährige. Über 10.000 Kinder bekommen dank brotZeit vor Schulbeginn ein Frühstück, davon allein in 36 Münchner Schulen. „Die Kinder können durch das Frühstück ihre Leistungsfähigkeit im Unterricht enorm steigern“, berichtet Glas. Und fährt fort: „Für uns arbeiten mittlerweile 1.300 Senioren. Sie sind um viertel nach sieben jeden Morgen an der Schule in ihrem Viertel, schmieren Butterbrote und verteilen frischen Tee oder Kakao.“
Auch Schwester Monika Plank CS nimmt an der Diskussionsrunde teil. Die frühere Leiterin der Münchner Bahnhofsmission engagiert sich seit Jahrzehnten für die Schwächsten in der Gesellschaft und arbeitet aktuell ehrenamtlich in der Obdachlosenhilfe im Haneberghaus in St. Bonifaz. Sie konnte bereits vielen Menschen durch ihre Hilfe eine neue Perspektive geben, allerdings gelinge das nicht immer: „Man kann nicht allen helfen. Und das ist traurig.“
Armut ist ein weitverbreitetes Problem
Georg Falterbaum, Vorstandsvorsitzender des Diözesan-Caritasverbandes, und Egon Endres, Professor für Sozialwissenschaften und Sozialmanagement, fordern beide, Armut als verbreitetes Problem anzuerkennen. Endres steht auf und deutet auf seine Diskussionspartner: „Von uns sieben Personen sind laut Statistik zwei armutsgefährdet.“
Die Sorge für Arme, Schwache und alle, „die an Leib und Seele beschädigt sind“, sei für die Kirche genauso wichtig wie die Feier der Sakramente, „am Ende vielleicht sogar wichtiger“, betont Kardinal Marx. Er wünsche sich Pfarrgemeinden, „die am Leben ihres Stadtviertels teilnehmen und sich dort besonders um die Armen kümmern“. Auch beim Thema Wohnungsnot in München findet der Kardinal klare Worte: Bildung und Wohnraum dürften nicht als Ware angesehen werden, sondern müssten allen frei zur Verfügung stehen. Denn: „Unsere Gesellschaft wird nicht zukunftsfähig sein, wenn wir prekäre Lebensverhältnisse weiter wachsen lassen.“ (Katharina Karl, Florian Ertl, cri/kna)