Antisemitismus

Novemberpogrom - Steinmeier und Kirche mahnen zu Wachsamkeit

Anlässlich des 85. Jahrestags der NS-Novemberpogrome rufen Politik und Kirchen zu Wachsamkeit und Zivilcourage auf. Der Jahrestag wird von politischen Akteuren und religiösen Vertretern dazu genutzt, an die schrecklichen Verbrechen des NS-Regimes zu erinnern und ein Zeichen gegen den modernen Antisemitismus zu setzen.

Bundespräsident Steinmeier und Altbundeskanzlerin Merkel warnen vor einer generellen Vorverurteilung von Muslimen und fordern zugleich eine Absage an jeden Antisemitismus © IMAGO / Bildgehege

Zum 85. Jahrestag der NS-Novemberpogrome haben Politik und Kirchen zu Wachsamkeit und Zivilcourage aufgerufen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Altbundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) warnten am Mittwoch angesichts der Ausschreitungen bei pro-palästinensischen Demonstrationen einerseits vor einer generellen Vorverurteilung von Muslimen. Zugleich betonten sie die Verantwortung Deutschlands für Israel und forderten eine Absage an jeden Antisemitismus. Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, erklärte, die Kirche werde sich „mit allen Mitteln“ gegen jede Form von Antisemitismus stemmen.

Steinmeier sagte, es dürfe keinen Generalverdacht gegen Muslime geben. Bei der Eröffnung eines Runden Tisches zum Nahost-Konflikt fügte er hinzu, die arabische Gemeinschaft in Deutschland müsse „Raum haben, um ihren Schmerz und ihre Verzweiflung über die zivilen Opfer in Gaza zu zeigen“. Terrorismus, Volksverhetzung und der Aufruf zur Vernichtung Israels seien jedoch nicht Teil dieser Garantie.

Altkanzlerin fordert Bekenntnis zu Grundgesetz

Steinmeier ergänzte, er sei besorgt, wie sehr die Gewalt im Nahen Osten auch den gesellschaftlichen Frieden in Deutschland gefährde. Der jüdischen Gemeinschaft versicherte der Bundespräsident Solidarität: „Wir werden Antisemitismus in unserem Land nicht dulden, keinen alten und keinen neuen, keinen christlichen und keinen muslimischen, keinen linken und keinen von rechts.“

Altbundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) forderte ein Bekenntnis zu den Werten des Grundgesetzes. „Dazu gehört auch, dass die Sicherheit des Staates Israel Teil der Staatsräson Deutschlands ist.“ Merkel betonte, das Unheil des Nationalsozialismus sei nicht über Nacht gekommen. „Begleitet wurden die Pogrome von dem Wegschauen, dem Schweigen, der Gleichgültigkeit, dem Mitlaufen einer großen Mehrheit der Deutschen.“

Heute gebe es in Deutschland gleichzeitig ein wieder blühendes jüdisches Leben und einen besorgniserregenden Antisemitismus, erklärte die Altkanzlerin. Der Wunsch nach einem palästinensischen Staat und Kritik an Israel seien legitim. Wer aber seinen Hass auf den Staat Israel und auf Juden auslebe, der missbrauche die Meinungs- und Versammlungsfreiheit. „Das muss mit allen Mitteln unseres Rechtsstaats geahndet werden.“

Gedenken an Progrome des NS-Regimes

Bischof Bätzing bezeichnete die Haltung der katholischen Kirche bei den Pogromen von 1938 als beschämend. „Die deutschen Bischöfe haben in der Nacht und in den Tagen danach geschwiegen“, erklärte der Bischofskonferenz-Vorsitzende in Bonn. Der Berliner Dompropst Bernhard Lichtenberg sei einer der wenigen gewesen, „die ihre Stimme erhoben, um gegen das Unrecht zu protestieren“.

Am Donnerstag wird vielerorts an die vom NS-Regime organisierten Pogrome gedacht. Die zentrale Gedenkveranstaltung findet in Berlin statt. Vom 7. bis 13. November 1938 wurden zwischen 400 und 1.300 Menschen ermordet oder in den Suizid getrieben. Mehr als 1.400 Synagogen, Betstuben und sonstige Versammlungsräume sowie Tausende Geschäfte, Wohnungen und jüdische Friedhöfe wurden zerstört. Rund 30.000 Juden wurden in Konzentrationslager verschleppt.

Bischof Bätzig fordert Dialog

In der Vergangenheit habe die christliche Verkündigung „einen maßgeblichen Anteil an der Entstehung und Tradierung antijüdischer Einstellungen“, räumte der Bischof ein. Von diesem Antijudaismus habe sich die Kirche seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) jedoch deutlich distanziert. Bätzing bat Gemeinden, katholische Verbände und Bildungseinrichtungen, sich gegen Antisemitismus zu engagieren und das Gespräch mit jüdischen Gemeinden zu suchen.

Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, erklärte, es sei unerträglich, dass 85 Jahre nach den Novemberpogromen Jüdinnen und Juden in Deutschland wieder Grund hätten, den Gang auf die Straße zu fürchten, und dass sie Sorge um ihre Kinder in Kindergärten und Schulen hätten. „Antisemitismus, egal in welcher Form, darf in Deutschland keinen Platz haben.“ (kna)