Weltliteratur – diese Bezeichnung haben schon viele Bücher bekommen. Auf den Psalter, die Sammlung der Psalmen im Alten Testament, trifft sie aber zweifellos zu. Nirgendwo findet man treffendere Freudengesänge, nirgendwo tiefere Traurigkeit als hier, wusste schon Martin Luther. Für ihn sind die Psalmen die Summe der Bibel – ihre Essenz. Bis heute faszinieren und inspirieren sie die Menschen. Sie sind das Herzstück des Stundengebets, die Urform der Kirchenmusik und zeitlose Poesie von Weltrang. Sie stellen das Rückgrat des jüdisch-christlichen Kults dar: Das Alte Testament wird durch sie erschlossen, die frohe Botschaft Jesu in ihnen prophetisch grundgelegt. Nicht umsonst wird der Psalter von Dietrich Bonhoeffer auch als das „Gebetbuch Jesu“ bezeichnet: In seinen letzten Worten am Kreuz zitiert Jesus gleich mehrfach Psalmen. Überhaupt wird auf keinen Text des Alten Testaments in den Evangelien häufiger zurückgegriffen.
Gebrauchsanweisung für das Leben
Für das Judentum der Antike stellen die Psalmen im Alltag die wichtigsten religiösen Texte dar. Durch die Psalmen wird die Tora, das Gesetz in den Büchern Mose und die Basis der hebräischen Bibel, zugänglich gemacht, erklärt Christina Schütz vom Lehrstuhl für alttestamentliche Theologie der Universität Eichstätt. Die Psalmen sind somit die Gebrauchsanweisung für das Leben frommer Juden zur Zeit Jesu. Ein Anspruch, der im ersten Psalm untermauert wird: Wer vor Gott bestehen will, hat sich nicht nur an das Gesetz zu halten. Er soll „Lust“ daran haben und Tag und Nacht darüber sinnieren. Die 149 folgenden Psalmen erklären, wie genau das zu tun ist. „Der Psalter war somit die Tora des Alltags für fromme Juden“, erläutert Schütz.