Familienbischof Heiner Koch

"Das Spektrum der Lebensformen ist bunt"

Im Interview mit der Münchner Kirchenzeitung spricht Heiner Koch, Erzbischof von Berlin, über die Familiensynode in Rom. Darin geht der Synodenteilnehmer auch auf den Umgang der Kirche mit Homosexualität ein.

Erzbischof Heiner Koch ist in der Bischofskonferenz für Familien zuständig und einer der deutschen Delegierten für die Bischofssynode. (Bild: imago) © imago

MK: Um welche Probleme von Familien sollte sich die Kirche kümmern?

KOCH: Ehe und Familie ist mehr als die junge Familie. Wir müssen Menschen in allen Lebenslagen in den Blick nehmen. Also auch ältere Menschen und Menschen in ihrer letzten Lebensphase. Ein zweiter Punkt sind Migrantenfamilien. Das betrifft nicht nur Flüchtlinge aus Syrien. Als Kirche müssen wir ihnen Heimat geben, sie einladen zum Gottesdienst und zum gemeinsamen Mahl. Wir sind als Kirche die neue Familie Jesu Christi. Der wichtigste Punkt aber ist, dass wir Paare vor und nach der Eheschließung begleiten und sie mit anderen Paaren zusammenbringen. Gerade wo es nicht selbstverständlich ist, kirchlich zu heiraten, müssen wir mit ihnen die Fragen stellen und im gemeinschaftlichen Gespräch Antworten suchen: „Was ist Ehe eigentlich?“, „Wie geht das, miteinander zu leben?“, „Was trägt uns?“, „Was gibt uns Mut und Geduld?“ Ich hoffe, dass es der Synode gelingt, aufstrahlen zu lassen, warum es wunderbar ist, sich das Sakrament der Ehe zu spenden.

MK: Das Wunderbare der Ehe ist innerkirchlich Konsens. Dennoch werden kirchliche Äußerungen zum Thema eher abwertend wahrgenommen. Alles, was nicht dem Ideal entspricht, ist Sünde.

KOCH: Das Spektrum der Lebensformen in unseren Gemeinden ist bunt: Von Alleinlebenden bis zu kinderreichen Familien, von Ehepaaren bis zu Alleinerziehenden, von unverheiratet Zusammenlebenden bis zu Geschiedenen. Menschliche Bindungen sind wertvoll. Das Besondere des Sakraments der Ehe ist, dass auf sie hin und in ihr die verschiedenen Dimensionen der Liebe wachsen mit der Intensität ihrer Bindung. Je verlässlicher ihre Liebe wird, desto stärker soll auch ihr sexueller Ausdruck sein und wachsen bis zu dem Zeitpunkt, wo zwei Menschen sich in ihrer größtmöglichen Freiheit versprechen, beieinander ein Leben lang zu bleiben. In diesem Versprechen hat auch die tiefste Form der Sexualität ihren Platz, zu diesem Zeitpunkt erfährt auch ihre geistliche Dimension ihre größte Dichte: zwei Menschen leben das Sakrament der Ehe. Diese verschiedenen, in unserem christlichen Verständnis integrierten Dimensionen der Liebe werden heute von vielen auseinandergerissen: Die sexuelle Beziehung hat für viele nichts mehr mit menschlicher Bindung zu tun, geschweige denn mit der Weitergabe des Lebens oder einer Gemeinschaft im Glauben.

MK: In Deutschland ist die Diskussion um die wiederverheiratet Geschiedenen eines der wichtigsten Themen für die Synode. Sehen Sie Lösungswege?

KOCH: Die strittige Frage ist, ob ich zur Eucharistie gehen kann, wenn ich in einer zweiten Ehe lebe. Die sakramentale Gemeinschaft der ersten Ehe ist gebrochen, aus welchen Gründen auch immer, das ist nicht nur eine Frage der Schuld. Ich lebe jetzt in einer Gemeinschaft, die einen Bruch darstellt zur ersten, vor und mit Gott geschlossenen Ehe. Kann ich dann in der Eucharistie noch die Gemeinschaft mit Gott leben und öffentlich darstellen, obwohl ich nicht nur mit einem Menschen die Gemeinschaft der Ehe breche, sondern auch mit Gott im Sakrament der Ehe? Es ist ein großes Glaubenszeugnis, dann bewusst auf die Kommunion zu verzichten. Auf der anderen Seite: Können wir den betroffenen Menschen sagen: Gott will nicht, dass ihr an seinen Tisch herantretet, weil es in eurem Leben solch einen Bruch gibt? Ist für solche gebrochenen Menschen unter keinen Umständen Platz am Tisch des Herrn? Kann es nicht sein, dass ich gerade als Gebrochener zur Eucharistie eingeladen bin? Brauche ich nicht gerade dann die Kraft dieses Sak- raments? Oder ist es ein Stück „unwürdiges Essen“, wie Paulus es sagt? Verletze ich mit meinem Gehen zum Tisch des Herrn vielleicht Menschen, mit denen ich durch die Scheidung und Wiederverheiratung gebrochen habe? Fördere ich durch meinen Zutritt zur Kommunion – vielleicht ungewollt – die Mentalität der Gesellschaft, dass die Ehe nur eine Lebensabschnittphase ist? Ist es richtig, wenn Kinder erleben, dass ihre Eltern nicht zur Kommunion gehen, aber ihre Kinder zur Kommunion führen sollen, von der sie sich abwenden müssen? Ist die Eucharistie das Mahl derer, die in vollkommener Einheit mit Gott leben? In dieser Frage gibt es derzeit für mich keine vollkommene Lösung. Ich will die geltende Ordnung der Ehe nicht in Frage stellen. Sie ist Teil der Schöpfungs- und Erlösungsordnung und uns von Gott anvertraute heilige Wirklichkeit. Aber es gibt eben diese menschlichen Brüche, nicht nur in Fragen des Sakraments der Ehe. Kann es ein Hinzutreten zur Eucharistie über die Ordnung und die Lehre hinaus geben? Oder hat Jesus nicht manchmal im wörtlichen Sinn Lösungen geschenkt, die über die Ordnung hinausgehen?

MK: Anderes Brennpunktthema ist das Thema Homosexualität. Äußerungen des Berliner Erzbischofs zu diesem Thema werden ja auch immer besonders wahrgenommen...

KOCH: Das war in Köln auch schon so. Ich hatte da als Seelsorgeamtsleiter einen Kreis von gläubigen Katholiken, die in homosexuellen Beziehungen lebten. Aber bewusst gläubig leben. Sie fühlten sich oft in der Kirche unverstanden und mussten sich gegenüber anderen Homosexuellen rechtfertigen, dass sie noch zur Kirche und zum Glauben stehen.

MK: Zeigt das nicht, dass wir eine neue Beurteilung der gelebten Homosexualität brauchen?

KOCH: Dass Gott ihnen ihr homosexuell geprägtes Leben schenkt und sie ihr Leben in verlässlichen Bindungen führen, ist wertvoll. Ich erlebe gerade zwei Menschen aus diesem Kreis, die einander im Alter und in Krankheit tragen – vorbildlich für alle. Aus katholischer Sicht aber ist die gleichgeschlechtliche Sexualität begrenzt. Ein wesentliches Element, die Weitergabe des Lebens, kann nicht gelebt werden. Ist es ihnen möglich, um des Himmelsreiches Willen ohne den letzten sexuellen Akt, den Geschlechtsverkehr, zu leben? Es gibt Homosexuelle, die das bewusst tun. Hier gibt es für uns vieles zu bedenken. Mir scheint es fast eine Überforderung zu sein, wenn die Synode zu all diesen angesprochenen Themen in ihrer kurzen Dauer eine tiefe, differenzierte Antwort erarbeiten soll. Andere Länder bringen ganz andere Themen und Bewertungen als die unsrigen mit ein. Ihre Überzeugungen und Erfahrungen sind gerade in ihrer Unterschiedlichkeit für uns sehr bereichernd und eine Anfrage und unsere Überzeugungen hoffentlich auch für sie. Die Bedeutung der Großfamilie oder die Bewertung der Homosexualität ist in vielen verschiedenen Ländern und Kulturen beispielsweise sehr unterschiedlich gewachsen. (Interview: Ulrich Waschki)