Es kommt gar nicht so selten vor, dass hohe katholische Würdenträger ihr persönliches Vermögen einer Stiftung zugutekommen lassen. Damit machen sie deutlich, was ihnen als Seelsorger wichtig ist, wo sie einen bleibenden Akzent setzen wollen. Sie hinterlassen damit auf Dauer ein Vermächtnis. Das hat nun auch Kardinal Reinhard Marx getan. Seine Stiftung zugunsten von Missbrauchsbetroffenen ist aber nicht allein ein wohltätiges Werk. Schon das wäre ein großes Verdienst.
Der Münchner Erzbischof rührt auch an eine tiefe Schande der Kirche. Darum hat die Nachricht von seiner Stiftungsgründung eine erhebliche politische Wucht. „Das System Kirche als Ganzes ist hier schuldig geworden. Missbrauch hat systemische Ursachen und Folgen“, erklärte der Kardinal als er die Errichtung seiner Stiftung bekannt gab. Das ist ein öffentliches Schuldeingeständnis. Und es ist ein Appell nach innen, an alle Katholiken: Missbrauch ist mehr als ein von vielen Klerikern begangener und bedauerlicher, aber letztlich persönlicher Fehler.
Betroffene schämten sich mehr als Täter
Wer sich solcher Verbrechen schuldig gemacht hat, konnte sich Jahrzehnte lang weitgehend darauf verlassen, dass ihm nicht viel passieren würde. Die Vorgesetzten hielten ihre Hand über ihn und die Gläubigen schwiegen. Wurde ein Fall ruchbar, schämten sich die Betroffenen und ihre Familien oft mehr als die Täter. Der kirchliche Apparat hat diese Verbrechen nur halbherzig oder gar nicht verfolgt. Dabei haben die Verantwortlichen vielleicht sogar redlichen Herzens geglaubt, Schaden von der Kirche abzuwenden. Kardinal Marx hat früh erkannt, dass genau das Gegenteil der Fall ist.
Sexueller Missbrauch trifft die Kirche bis ins Mark. Es ist das Verdienst des Münchner Erzbischofs, dass er den Skandal nicht unterdrückt und klein geredet hat. Er hat nicht den Ruf der Institution gegen das Leid der Opfer ausgespielt und nicht von Einzelfällen gesprochen. Er hat in seinem Erzbistum München und Freising eine eindeutige Richtung vorgegeben: Es geht zuerst darum, dass den Betroffenen Gerechtigkeit widerfährt. Dass sie gehört werden und ihr Leid im Vordergrund steht und nicht der öffentliche Ruf der Kirche.
Selbstgeschaffenes System zerbrechen
Diese Kirche ist von Gott gegründet, ihre Organisation aber von Menschen getragen. Und die sind nun einmal schwach und sündig. Beim sexuellen Missbrauch haben Bischöfe, Kardinäle und Päpste zu oft darüber hinweggesehen. Aus Furcht, Gottes Kirche, sein Werk könnte in schlechtem Licht erscheinen und nicht allein die Menschen, die in ihr Verantwortung tragen. Sie wollten der Institution und den handelnden oder besser nicht handelnden Personen etwas ersparen, das die Evangelien ständig fordern: Bekehrung. Doch wenn sie fehlt, zerfällt die Kirche, verliert sie gerade dadurch ihre Autorität und Glaubwürdigkeit.
Die Stiftung von Kardinal Marx wird diesen Vertrauensverlust nicht plötzlich stoppen. Doch sie macht deutlich, dass einer der ranghöchsten Vertreter der katholischen Kirche die Dimensionen dieser Verbrechen verstanden hat. Er weiß, dass diese Kirche nicht mehr dieselbe sein kann wie vor den Missbrauchsskandalen. Seine Stiftung hat er Spes et Salus genannt, Hoffnung und Heil. Die von Missbrauch betroffenen Menschen und die Kirche brauchen beides dringend. Hoffnung und Heil sind aber nur zu haben, wenn die Institution ein selbstgeschaffenes System zerbricht, in dem diese Taten massenhaft geschehen konnten. Kardinal Marx will mit seiner Stiftung dazu einen Beitrag leisten und aufrütteln. Dafür gebührt ihm großer Respekt.