München – Willkommen im Lichtspielhaus St. Hildegard! Eine Viertelstunde geht hier schnell vorbei, denn in diesem Gotteshaus ist Kirchenkunst im Breitbildformat mit satten, rauschhaften Farben geboten. Der unscheinbare und wenig bekannte Bau im Münchner Westen hat mit seinen atemberaubenden Glasfenstern eine echte Sehenswürdigkeit zu bieten. Sie erheben sich über einem Mauerwerk aus grauem Bruchstein, der Schutz und Geborgenheit vermittelt. Die Seitenlänge des quadratischen Grundrisses, der in mehreren Metern Höhe durchlaufend von den Fenstern eingefasst ist, beträgt 25 Meter. Über ihnen ragt ein gefaltetes, holzverkleidetes Zeltdach empor. Gerade muss draußen eine Wolke vorbeiziehen, die das Sonnenlicht verdunkelt und allmählich wieder freigibt. Immer stärker wird jetzt die mächtige orangene Fläche der rechten Seitenwand. Ihre Farbe erfüllt allmählich den ganzen Raum und bricht sich am uneben gehaltenen Mauerwerk. Ebenso beginnen die Regenbogendarstellungen sanft zu leuchten, die an zwei diagonal gegenüberliegen Ecken zu sehen sind und an den alles umspannenden Bund zwischen Gott und den Menschen denken lassen.
Spiel aus Licht und Farbe
Hinter dem Altar ist eine der wenigen figürlichen Darstellungen in den Fenstern zu finden: das Lamm Gottes. Pfarrer Alois Emslander erzählt, wie einmal mitten im Hochgebet das volle Sonnenlicht durch diese Scheiben hinter dem Altar fiel: „Der ganze Raum war verwandelt.“ Dem Priester ist es „eiskalt den Rücken heruntergelaufen, das war wie ein Geschenk oder wie ein Fingerzeig Gottes“. St. Hildegard ist eben ganz großes spirituelles Kino. Pfarrer Emslander liebt dieses Spiel aus Licht und Farbe.
Zudem verbergen sich in den abstrakten Darstellungen Glaubensbotschaften: So strömen über dem Taufstein viele Blautöne zusammen, darüber gelbrote Feuerzungen. Es braucht nicht viel Phantasie, um hier das Wasser zu sehen, mit dem in der Taufe der Heilige Geist auf den Menschen herabkommt. Ein großes blaues Feld ist auch in der rechten Seitenwand zu sehen – eine Art Schöpfungsfenster, „in dem Gott die in dunklen Rottönen dargestellte Erde und das Wasser voneinander scheidet“, erklärt der Pfarrer.
Georg Meistermann hat Kirchenfenster gestaltet
Dann deutet er auf die gegenüberliegende linke Seitenwand mit den kräftigen Grüntönen: „Die verweisen auf die heilige Hildegard und ihre Beziehung zu Pflanzen und zur Schöpfung.“ Der Gründungspfarrer Paul Groh hatte sich damals dieses Patronat gewünscht, als noch kaum jemand an Ökologie und die theologische Bedeutung von Frauen wie Hildegard von Bingen dachte. „Fortschrittlich und prophetisch“ nennt Pfarrer Emslander heute dieses Patronat. Fortschrittlich war auch der Auftrag an Georg Meistermann (1911–1990), die Fenster zu gestalten. Der Maler war seinerzeit einer der großen Stars der Kunstszene, war 1955 auf der allerersten „documenta“ in Kassel vertreten.