Familien- und Berlinroman

Lutz Seiler: Stern 111

Eine Familie in Thüringen kurz nach der Wende. Sohn Carl ist einer, der nicht recht weiß wohin. Er möchte Schriftsteller werden und findet Unterschlupf in der Hausbesetzerszene Ostberlins. Seine Eltern dagegen haben ganz genaue Vorstellungen von ihrem Leben nach der Ausreise nach Westdeutschland.

© Imago

Das Stern 111 ist ein schönes DDR-Transistorradio aus den 60er Jahren und das geheime Zentrum im  Familienleben der Bischoffs. Wir treffen sie in Gera kurz nach der Öffnung der DDR –Grenzen. Die Eltern lassen sich von ihrem Sohn Carl zur Grenze fahren, sie wandern aus. Carl, soll Haus und Auto in der Heimat hüten. Für einen jungen Mann Anfang zwanzig, der Schriftsteller werden will kein sehr attraktiver Auftrag, also setzt er sich mit schlechtem Gewissen ins Auto und er bricht auf, eher ziellos. Ganz anders seine Eltern, die verfolgen einen klaren Plan. Ein Gegensatz aus dem der Roman Spannung gewinnt. „Unsere Eltern sollen es einmal besser haben“ Etwas stimmte nicht mit diesem Satz“  - das ist ein Schlüsselsatz aus diesem Familienroman aus einer aufregenden Zeit.

Der Roman lebt stark von der sinnlichen, taktilen Sprache des Autors, die sich am handwerklichen orientiert und nicht literarisiert wirkt. Lutz Seiler ist ein Meister darin, die Vorstellung des Lesers durch seine Figuren zu lenken, da braucht es kein Psychologisieren. Lutz Seiler versteht es ganz besonders, Beziehungen in der Schwebe zu halten, Entwicklungen anzudeuten und den Leser selbst entdecken zu lassen, was er anbietet.

Wer einfach neugierig ist auf den Leipziger Buchpreisroman, da gibt es keinen Grund zu zögern. Stark finde ich das Buch vor allem als Familienroman. Jetzt, wo Kontakte zwischen Eltern und erwachsenen Kindern etwas anders laufen, wo man Nähe und Distanz deutlicher spürt, zeigt „Stern 111“ wie eng verwoben Elternpläne und Kinderwege sind, wie stark die Gewohnheiten der Familie prägen und sich nicht einfach abschütteln lassen.

Interessant auch für Berlinliebhaber, die hier garantiert eine neue Facette der Stadt kennenlernen. Und die Erfahrungen von Auswanderern Ost mit ihren Landsleuten im Westen sind so noch nicht erzählt worden, treffend aber ohne Groll.


Buchtipp

Lutz Seiler: Stern 111

Suhrkamp, 528 S.

24 € inkl. MwSt.

Hier bestellen